Gegenwind für Juncker
15. Juli 2014Das Parlament der Europäischen Union hat im Wettstreit der Institutionen und um Einfluss in der Union einen Sieg davon getragen. Mit der Wahl des europäischen Urgesteins Jean-Claude Juncker zum nächsten Präsidenten der EU-Kommission hat das Parlament dem Rat der Europäischen Union seinen Willen aufgezwungen. Der Gewinner der Europawahl wird Kommissionschef. Das ist in keinem EU-Vertrag so vorgesehen. Geschickt haben einflussreiche Parlamentarier und europäische Parteistrategen den Lissabon-Vertrag, der dem Rat das Recht zur Nominierung zuweist, so interpretiert, dass nur der siegreiche "Spitzenkandidat" der Europawahl automatisch Kommissionspräsident werden soll. Im Wahlkampf wurde den Wählerinnen und Wählern eine direkte Wahl suggeriert, die es so eigentlich nicht gibt. Spitzenkandidat Juncker stand zum Beispiel nirgends auf den Wahlzetteln, nicht einmal in seinem Heimatland Luxemburg.
Mit dem Verfahren waren viele Staats- und Regierungschefs nicht glücklich, aber schließlich haben sie nachgegeben, um einen offenen Konflikt der Institutionen - und eine veritable Krise in der EU - zu vermeiden. Nur der britische und der ungarische Premier blieben bei der Ablehnung des Verfahrens. Sie geißelten das Vorgehen des Parlaments als undemokratisch und fühlten sich in ihren Rechten als Vertreter des Rates der Staats- und Regierungschefs beschnitten. Lange hat Bundeskanzlerin Angela Merkel gezögert, dem System der Spitzenkandidaten zuzustimmen. Sie ist wie viele ihrer Amtskollegen auch Parteichefin. Sie hätte also wissen müssen, was sich da auf europäischer Parteiebene zusammenbraut. Erst nach der Europawahl hat sie eingesehen, dass der Zug nicht mehr aufzuhalten war. Sie hat es aber nicht geschafft, die Briten und Ungarn doch noch ins Boot zu holen. So ist der neue EU-Kommissionpräsident erstmals ohne Zustimmung aller Mitgliedsstaaten bestimmt worden.
Der Rat hat geschlafen
Merkel hat keinen ernsthaften Versuch gemacht, die Spitzenkandidaten als EU-Kommissionspräsidenten zu verhindern. Rat und Parlament waren nach dem Lissabon-Vertrag der EU aufgefordert, ein Verfahren zur Wahl des Kommissionspräsidenten zu vereinbaren. Die Staats- und Regierungschefs haben sich aber viele Jahre geweigert, das zu tun. Selbst Schuld, jetzt keine Krokodilstränen! Der Rat besitzt die größte Machtfülle im Gefüge der EU. Geblendet davon, hat er die Taktik der Parlamentarier nicht Ernst genommen und muss nun mit den Konsequenzen leben. Insofern ist die Abstimmung in Straßburg wirklich historisch zu nennen, wie es der Parlamentspräsident Martin Schulz gesagt hat.
Der alte Fuchs Jean-Claude Juncker wird sich jetzt der stetigen Opposition Großbritanniens und Ungarns erwehren müssen und er muss hohe Erwartungen des Parlaments erfüllen. In dieser Lage Unabhängigkeit zu wahren macht den ohnehin anstrengenden Job des EU-Kommissionspräsidenten für den fast 60-Jährigen nicht gerade einfacher. Er soll sogar die widerspenstigen Briten zähmen und Reformen aushandeln, um Großbritannien nach einem möglichen Referendum in der Union zu halten. Die Voraussetzungen dafür sind denkbar schlecht.
Juncker hat noch viele Hürden vor sich
Bei den weiteren Spitzenjobs in der EU und bei den einzelnen Posten in der EU-Kommission wird sich der Rat nicht noch einmal die Butter vom Brot nehmen lassen. Um die Kommissare und ihre Aufgabengebiete wird hart gerungen werden. Jean-Claude Juncker muss mit dem Personal leben, das die Hauptstädte ihm schicken. Im Herbst muss er sich dann mit seiner kompletten Mannschaft einer weiteren Vertrauensabstimmung im EU-Parlament stellen. Auch diese Abstimmung könnte wieder zur Machtprobe werden. Das Parlament hat schon erzwungen, dass Mitgliedsstaaten unliebsame Kommissare während der fälligen Anhörungen austauschen mussten.
Den europäischen Bürgerinnen und Bürgern wird dieser Streit der Institutionen wahrscheinlich herzlich egal sein. Sie wollen vor allem Lösungen für europäische Probleme wie Arbeitslosigkeit, Wachstum, Migration und zu viel Bürokratie. Jean-Claude Juncker hat versprochen, pragmatisch zu Werke zu gehen. Die Umstände seiner Wahl werden ihn dabei hoffentlich nicht bremsen.