Serben und Montenegriner haben keine größeren historischen, ethnischen oder religiösen Differenzen. Ähnlich wie Österreich gegenüber Deutschland sucht Montenegro unter Milo Đukanović daher die Abgrenzung gegenüber Serbien in seiner historischen Staatlichkeit. Doch Ambivalenz schimmerte in dem montenegrinischen nationalen Stolz stets durch, denn auch mancher montenegrinische Fürst definierte sich in der Vergangenheit als glühender Serbe. Die Erinnerung daran pflegt man besonders gerne im armen Norden des Landes, wo die Mehrheit auf ihre serbischen Identität beharrt.
Die friedliche Trennung von Belgrad und Podgorica wurde im Jahre 2006 vollzogen. Genau diese Trennung, deren Chefideologe Đukanović war, hinterließ eine tiefe Spaltung in Montenegro: Im Kernland und an der Adriaküste sicherte sich Đukanović stets eine eigene Mehrheit, im bergigen Norden hingegen war er nie besonders beliebt.
Verordnete pro-westliche Haltung
Milo Đukanović setzt in seinem Machtapparat auf den staatsbezogenen montenegrinischen Nationalismus, Klientelismus und eine verordnete pro-westliche Haltung: Da und dort werden Journalisten schikaniert und umgebracht, die Partreitreuen und ihre Familien haben Jobs, die anderen eher nichts. Seit ein italienischer Staatsanwalt in den neunziger Jahren die vorbereitete Anklage gegen Đukanović wegen Zigarettenschmuggels ruhen ließ, führt der "lupenreine Demokrat" das Land Richtung EU und NATO.
Lange schien es so, als ob diese Rechnung aufgehen würde. Doch dann kam die Neuauflage der russisch-westlichen Auseinandersetzung. Das stürzte die Montenegriner in Entscheidungsnot. In der Hauptstadt Podgoricas steht ein Puschkin-Denkmal. An der Adria-Küste verbrachten etliche wohlhabenden Russen ihre Freizeit. Unter Milo Đukanović kauften reiche Russen Grundstücke am Meer, einige Radio-Sender führten russischsprachige Sendungen ein.
Russland seit langem eng verbunden
Diese Russophilie hat eine lange Vorgeschichte. Das kleine Bergvolk konnte nie ganz unter osmanische Herrschaft gebracht werden. Das ganze Land war "das kleine gallische Dorf" des Balkans, unterstützt durch das zaristische Russland. Und so wurden die Montenegriner traditionell russlandgläubig. Ähnlich wie in der Frage, ob die Montenegriner mit den Serben eng verwandt sind, gibt es landesweit im aktuellen Verhältnis zu Russland eine fast schizophrene Haltung.
Doch basierend auf dieser Ausgangslage führt die Realpolitik von Đukanović zu einem kulturellen Bruch: Denn im Unterschied zu Belgrad unterstützt Podgorica neuerdings die westlichen Sanktionen gegen Russland. Und die Nato wird dem Land voraussichtlich Ende des Jahres die Mitgliedschaft anbieten. Ein Geschenk mit Sprengstoff, denn die ohnehin gespaltene Gesellschaft wird das noch mehr zerreißen und sie bekommt einen zusätzlichen Anlass, alte Rechnungen zu begleichen.
Kein friedlicher Diskurs über die Zukunft denkbar
Mag sein, dass Russland da und dort die zerstrittene und schwache Opposition zum Widerstand anstiftet. Doch Beweise fehlen bis jetzt. Die Gewaltbereitschaft auf beiden Seiten, die Machtarroganz und Korruption der Regierenden sowie eine erschreckende Konzeptlosigkeit der Opposition - all das ist hausgemacht. Das lässt nichts Gutes erahnen.
Ein Klischeebild des Montenegriners zeigt einen überstolzen Krieger mit schlechter Arbeitsmoral. Klar, Klischees sind stets mit Vorsicht zu genießen. Doch derzeit wäre es sicherlich unrealistisch, mehr Friedensliebe gepaart mit mehr Fleiß bei der Lösung der montenegrinischen Krise zu erwarten. Auch Hilfe von außen ist sehr unwahrscheinlich, denn die EU ist voll und ganz mit sich selbst beschäftigt. Die Montenegriner selbst aber werden ihre Konflikte kaum noch friedlich austragen. Dafür fehlen alle geopolitischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Voraussetzungen. Vor allem aber - und das ist entscheidend - fehlt der politische Wille.
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