Das Elend der Rohingya erschüttert und weckt Mitleid. Zugleich erschreckt die Hilflosigkeit der internationalen Gemeinschaft, die sich zwar bemüht, das unmittelbare Leid in den Flüchtlingslagern zu lindern, aber zur Lösung der Ursachen wenig beitragen kann, weil sie in den Augen der Menschen und der Politik Myanmars Partei sind.
In diese Kategorie gehört auch die Aberkennung des Elie-Wiesel Preises an Aung San Suu Kyi durch das Holocaust-Gedenken Museum der Vereinigten Staaten. Die Entscheidung ist ein deutliches moralisches Urteil. Wie die Aberkennung dazu beitragen soll den Konflikt zu lösen, ist allerdings unklar. In Myanmar wird sie als weiterer Angriff auf Aung San Suu Kyi verstanden werden.
Myanmars Tragödie
Was in Myanmar passiert ist eine Tragödie. Die klassische Tragödie zeichnet sich durch die schicksalhafte Verstrickung der Hauptfigur aus. Was auch immer sie unternimmt, es gibt keinen Ausweg. Das gilt auch für Aung San Suu Kyi, die in mindestens dreierlei Hinsicht verstrickt ist.
Aung San Suu Kyi ist zum ersten eine Gefangene der Verfassung ihres Landes. Als sie 2011 entschied in die Politik ihres Landes einzutreten, musste sie sich bereit erklären nach den Regeln des Militärs zu spielen. 2008 hatte das Militär die heute gültige Verfassung geschrieben. Sie garantiert dem Militär eine Sperrminorität für Verfassungsänderungen und die Ministerien für Verteidigung, Inneres und Grenzangelegenheiten. Das bedeutet, dass die zivile Regierung bis heute keinen Zugriff auf die Sicherheitskräfte im Land hat. Die aber sind es, die für die ethnischen Säuberungen in erster Linie verantwortlich sind.
Vielleicht hätte Aung San Suu Kyi niemals auf diesen Kompromiss mit dem Militär eingehen dürfen. Das aber hätte auch bedeutet, dass der jahrzehntelange politische Stillstand und das Patt zwischen demokratischer Opposition und autoritären Militärs andauern würden.
Volkes Stimme
Aung San Suu Kyi ist zum zweiten die Gefangene ihrer Wähler. Die Friedensnobelpreisträgerin hat sich selbst immer als "Volkes Stimme" verstanden. Dafür wurde sie jahrelang vom Westen gefeiert und mit Preisen überhäuft. Doch in der politischen Kultur Myanmars spielt der Kompromiss kaum eine Rolle. Demokratie bedeutet in Myanmar: Der Wille der Mehrheit zählt. Minderheitenschutz ist nachrangig.
Die Mehrheit der Bevölkerung in Myanmar pflegt heftige Ressentiments gegen Muslime und insbesondere gegen die Rohingya. Wenn Aung San Suu Kyi diese Ressentiments kritisiert, verliert sie den Rückhalt in der Bevölkerung. Das wäre das Ende des politischen Neuanfangs.
Ihre Kritiker werden sagen, dass die Verbrechen gegen die Rohingya schwerer wiegen, dass der Preis für Myanmars Neuanfang mit den ethnischen Säuberungen zu teuer erkauft ist. Allerdings ist mit einem Rückzug Aung San Suu Kyis keineswegs zu erwarten, dass sich an der Politik gegenüber den Rohingya irgendetwas ändern wird.
Zwischen Überhöhung und Verdammung
Aung San Suu Kyi ist zum dritten ein Opfer westlicher Projektionen. Auf die Überhöhung zur Menschenrechtsikone der 90er Jahre folgt nun die Verdammung. Sie wird an absoluten moralischen Maßstäben gemessen. Es heißt, wenn sie das Leid der Rohingya nicht verhindert oder wenigstens anklagt, ist alles, was sie je getan hat und weiterhin tut hinfällig.
Die Einsetzung verschiedener Kommissionen - unter anderem unter der Leitung des ehemaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan - durch Aung San Suu Kyis Regierung, die die Gewalt untersuchen und Auswege aufzeigen sollen, zählen nichts im Vergleich zu den Vorgängen im Rakhine-Staat und der massiven Informationsblockade, die von der gleichen Regierung verfügt wurde.
Wie in jeder Tragödie gibt es keinen Ausweg. Ergreift Aung San Suu Kyi das Wort rehabilitiert sie sich in den Augen des Westens möglicherweise als Menschenrechtsikone, verliert aber den politischen Einfluss im Land. Am Leid der Rohingya ändert sich nichts. Schweigt Aung San Suu Kyi weiter, diskreditiert sie sich in den Augen des Westens vollends, behält aber einen gewissen politischen Spielraum in Myanmar. Am Leid der Rohingya ändert sich auch dann nichts.
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