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Dogmatismus statt Wissenschaft

2. August 2019

Die Ernennung eines islamophoben Altphilologen zum neuen Oberaufseher der Akademie durch Premierminister Orban ist ein Skandal. So entsteht keine wettbewerbsfähige Wissenschaftslandschaft, meint Fabian Schmidt.

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Lehrer Lempel mit erhobenem Zeigefinger
Ungarns Akademiker brauchen keinen dogmatischen Oberlehrer zur AufsichtBild: Fotolia/fotodo

Ungarns Premierminister Orban hat entschieden: Den Vorsitz des umstrittenen neuen Aufsichtsgremiums der Akademie der Wissenschaften übernimmt Miklos Maroth. Der 76 Jahre alte Orientalist und Altphilologe ist immer wieder mit unappetitlichen islamfeindlichen Äußerungen aufgefallen, die wenig Respekt für die Menschenwürde erkennen lassen.

Damit zeigt die ungarische Regierung unzweideutig, wohin die Reise geht: zurück in die Vergangenheit. Das wird nicht nur deutlich, weil Maroths Ausländerfeindlichkeit bekannt ist, sondern es liegt bereits im Kern seiner universitären Lehre begründet. 

Mehr dazu: Kommentar: Die Zerstörung der Wissenschaft in Ungarn

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Freie Wissenschaft braucht Menschen, die Empirie wertschätzen, meint DW-Redakteur Fabian Schmidt

Philologen - die Priester der Nation

Um zu verstehen, warum die Ernennung eines Philologen so ein verheerendes Zeichen für die freie Wissenschaft ist, muss man sich zunächst den grundlegenden Unterschied zwischen Philologie und Linguistik vor Augen führen. Die beiden Wissenschaftsdisziplinen sind nämlich keineswegs nur zwei Begriffe für ein und dasselbe, wie Laien es oft fälschlicherweise wahrnehmen. 

"Die Philologen sind die Priester der Nation", hat mein seliger Professor der Balkanologie an der FU-Berlin Norbert Reiter den Konflikt einmal auf den Punkt gebracht. Er war Vertreter einer vorwärtsgewandten komparativen Eurolinguistik.

Philologen wie Maroth haben hingegen intellektuell das 19. Jahrhundert kaum verlassen. Ihre Methodik und Lehre ist geprägt durch verstaubte romantische und nationalistische Vorstellungen.

In ihrer Gedankenwelt gibt es Sprachen, Sprachfamilien und Stammbäume, die sich wie biologische Organismen entwickeln. "Völker" und "Sprachen" bilden dabei Einheiten, sind genetisch verbunden. Es geht der Philologie um Abgrenzung: Was die "Sprachen" voneinander unterscheidet, trennt im Umkehrschluss dann eben auch die "Völker" und "Nationen". 

Mehr dazu: EU geht gerichtlich gegen Ungarn vor

Obskurantismus statt Empirie

Um es klar zu sagen: Das ist unwissenschaftlicher und obskuranter Unsinn. Diese Lehre von "Sprachen" ist im Kern normativ und nicht empirisch. Sie eignet sich dazu Lehrer auszubilden, die wiederum Schüler dressieren "richtig" zu schreiben und zu sprechen - im Sinne einer normierten Sprache. So lassen sich "Nationen" bilden. Das ist ein politisches und gesellschaftliches Ziel, hat aber mit unabhängiger Wissenschaft und Forschung absolut nichts zu tun.

Was diese dem übergeordneten politischen Ziel verpflichtete Philologie nämlich nicht leisten kann, ist ein wissenschaftliches Verständnis der vielfältigen Dimensionen von Kommunikation. Das kann nur die Linguistik. Sie betrachtet nicht "Sprachen" sondern Sprache. Und sie bestimmt nicht, was "richtig" oder "falsch" ist, sondern schaut den Menschen empirisch aufs Maul.

Sie nutzt die Semiotik, also die Erforschung der Kommunikation über Zeichen, als Richtschnur. Und ob die sprachlichen (sowohl lexikalischen, als auch grammatischen) Zeichen, die zwei Menschen untereinander nutzen, aus der einen oder der anderen "Sprache" stammen, ist für komparative Linguisten vor allem wegen der wissenschaftlichen Erkenntnis interessant.

So entsteht keine moderne Forschung

Dieser Exkurs war nötig, um zu verstehen, warum mit solchem Führungspersonal, das geistig in grauer Vorzeit eingefroren ist, keine moderne, weltoffene Wissenschaftslandschaft entstehen kann.

Ein englisches Sprichwort sagt: "Alte Hunde lernen keine neuen Tricks". Und wie soll ein emeritierter Vertreter einer unverbesserlichen, normativen Disziplin jemals die Bedeutung und Relevanz unvoreingenommener empirischer Forschung verstehen? Dabei ist es egal, ob es um Geistes- oder Naturwissenschaften geht. Wenn das Verständnis fehlt, ändert sich nichts.

Die Besetzung zeigt jedenfalls, dass hinter der Beteuerung von Innovationsminister László Palkovics, die Entmachtung der Akademie werde die ungarische Wissenschaftslandschaft wettbewerbsfähiger machen, rein gar nichts steckt. Das ganze ist damit eindeutig als politische Zwangsmaßnahme entlarvt. Wenn den Akademikern ein Altphilologe als Oberaufseher vorgesetzt wird, sollen sie offenbar so behandelt werden wie Unmündige.

Hätte die Regierung sich wenigstens für einen 50-Jährigen Maschinenbauprofessor entschieden, dann hätte sie wenigstens den Anschein des Innovationswillens gewahrt.

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Fabian Schmidt Wissenschaftsredakteur mit Blick auf Technik und Erfindungen