Großer Schritt für die Koalition, kleiner in der Krise
Monatelang haben sie gestritten, sich Vorwürfe an den Kopf geknallt und Briefe geschrieben: Nun endlich haben Angela Merkel, Horst Seehofer und Sigmar Gabriel, die Spitzen der Koalitionsparteien, am späten Donnerstagabend einen Kompromiss gefunden. Dem Asylpaket stehe nichts mehr im Wege, versicherte Gabriel nach dem Treffen im Kanzleramt.
Man könnte nun analysieren, welcher Koalitionär sich schließlich durchgesetzt hat beim Streit um das schon so lange vereinbarte und versprochene Paket, das die Zuwanderung begrenzen soll. Beim Kernpunkt - spezielle Aufnahmeeinrichtungen, in denen die Verfahren von Flüchtlingen, die kaum Chancen auf Asyl haben, im Schnelldurchgang bearbeitet werden - herrschte sowieso längst Einigkeit.
Uneinigkeit herrschte dahingegen bei der Frage vom Familiennachzug von Flüchtlingen, die kein Asyl bekommen, aber nicht abgeschoben werden können, weil ihnen zum Beispiel in ihrem Herkunftsland Folter oder die Todesstrafe droht (der sogenannte "subsidiäre Schutz"). Der Kompromiss sieht nun vor, dass für alle "Subsidiären" ein Familiennachzugs-Verbot für zwei Jahre gilt. Dafür sollen Frauen und Kinder mit Familienangehörigen in Deutschland – egal ob regulär oder "subsidiär" – bei den nächsten Flüchtlingskontingenten Vorrang haben.
So weit, so gut, das Asylpaket ist geschnürt, gewonnen haben alle, weil nun endlich das Paket zum Gesetz werden kann? Nun ja, nicht ganz: Denn das Paket ist mitnichten die große Lösung des Flüchtlingsproblems. Nein, es dreht lediglich die Schrauben des Asyls fester, beschleunigt Abschiebungen, stuft Länder mit teils mindestens dubiosen Menschenrechtslagen als "sicher" ein und verwehrt manchen, aber bei weitem nicht allen, das Nachholen ihrer Familien.
Aber es wird wohl kaum die Menschen davon abhalten, sich auf den Weg nach Deutschland zu machen, in der Hoffnung, dem Krieg, dem Hunger und der Armut, und ja, manchmal auch nur der zermürbenden Langeweile der Arbeitslosigkeit und Hoffnungslosigkeit zu entfliehen.
Nein, da bewirken Aufnahmezentren und die Einschränkung des Familiennachzuges wenig. Dieser dauert jetzt schon etliche Monate, weil Familienangehörige Monate auf einen Termin bei den deutschen Botschaften im Libanon oder der Türkei warten müssen.
Stattdessen setzt die Kanzlerin weiter auf eine Lösung auf EU-Ebene, verlangt fast mantrahaft nach europäischer Solidarität von Regierungen, von denen immer mehr ihre Grenzen schließen und gegen Flüchtlinge wettern, verweist auf Hotspots, die obwohl verabredet, auf sich warten lassen und verweist auf die Türkei, deren Auffassung von Grenzschutz nach Recherchen von Menschenrechtsorganisationen auch mal die gezwungene Deportation zurück ins Kriegsgebiet beeinhaltet.
Kurzum: Der Kompromiss mag vielleicht als großer Schritt von der Koalition verkauft werden, in der Krise ist er ein ziemlich kleiner. Und so wird und muss der Streit weitergehen - in der EU, und auch zu Hause: Kann sich die EU bei ihrem Gipfel im Februar nicht einigen, dann werden die Rufe nach Grenzschließung und Obergrenze in der Koalition und Merkels Partei immer lauter.
Dann fängt der Streit erst richtig an. Anders gesagt: Gewonnen hat noch niemand.