Kommentar: Eine Frage der Einstellung
2. März 2014Wie groß derzeit die Verunsicherung beim vermeintlichen Spitzenteam Bayer Leverkusen ist, zeigte sich an diesem Spieltag bereits innerhalb der ersten sechs Spielsekunden. Mittelfeldspieler Stefan Reinartz vertändelte gegen den FSV Mainz 05 direkt nach dem Anstoß gleich den ersten Ball und konnte nur mit einem hilflosen Trikotzupfer Schlimmeres verhindern. Viel besser wurde es in den weiteren 89 Minuten und 54 Sekunden nicht mehr. Bayer Leverkusen, das eine der besten Hinrunden seiner Bundesliga-Geschichte gespielt hat, ist völlig von der Rolle. Acht Niederlagen aus den vergangenen zehn Pflichtspielen stehen zu Buche. Ein Ende der Krise ist nicht in Sicht.
Denn nicht nur am Samstag beim 0:1 gegen Mainz war die Verunsicherung förmlich mit Händen zu greifen. Seit Wochen übernimmt in entscheidenden Momenten keiner der Bayer-Akteure auf dem Platz die Verantwortung, keiner bäumt sich auf, die Spieler zeigen - mit Ausnahme von Torhüter Bernd Leno - in keiner Sekunde des Spiels, dass sie wirklich dagegenhalten wollen. Die Mannschaft agiert gegen vermeintlich kleine Gegner zu überheblich und gegen Spitzenteams mit zu großem Respekt. Mit dieser Mentalität hat Leverkusen in der Spitzengruppe der Liga nichts zu suchen.
Nachdem sich die Werkself trotz miserabler Leistungen lange Zeit auf dem zweiten Platz halten konnte, sieht es nun danach aus, dass Bayer in der Tabelle durchgereicht wird. Die nächsten Gegner sind Hannover 96 und der FC Bayern München - beide auswärts. Dazwischen liegt noch das Champions-League-Gastspiel bei Paris St. Germain. Etwas anderes als drei weitere Niederlagen wären eine Überraschung.
Lücken im Kader, Fehler im Kopf
Teamchef Sami Hyypiä und die anderen Verantwortlichen beim Werksklub wirken ratlos. Wie sollen sie einen Weg aus der Krise finden, wenn sogar Leistungsträger wie Stefan Kießling, Sidney Sam und Simon Rolfes neben der Spur sind? Dazu offenbart sich immer wieder, wie dünn der Kader eigentlich ist. Wenn Kießling nicht in Form ist, gibt es keinen, der die Aufgabe des Torjägers übernehmen kann. Für Sam und Heung-Min Son, die zwar schnellen, aber nicht sehr effizienten Außenstürmer, sitzt kein Ersatz auf der Bank. Auf der Außenverteidigerposition ist Bayer allenfalls mit Bundesliga-Durchschnitt besetzt. Einen kreativen Mittelfeldspieler sucht man im gesamten Kader vergeblich. Ein Armutszeugnis, dass in der Champions League gegen Paris der erst 17-jährige Julian Brandt zum besten Bayer-Spieler wurde, weil er als einziger mal ein Dribbling gewann und den Ball nicht nur zur Seite oder nach hinten weiterschob.
In den ausstehenden elf Meisterschaftsspielen gilt es für Bayer nun, die Saison irgendwie zu retten und den Europapokal zu erreichen. Nach der Sommerpause sollen dann der momentan nach Braunschweig verliehene Karim Bellarabi (rechte Außenbahn) und der gerade für 5,5 Millionen Euro verpflichtete Brasilianer Wendell Bayers Kader verstärken. Das alleine wird allerdings nicht ausreichen. Wichtiger wäre es, in den Köpfen der Spieler aufzuräumen. Überheblichkeit und Duckmäusertum raus, Kampfeswillen und Siegermentalität rein! Ansonsten wird das Achtelfinal-Rückspiel gegen Paris für längere Zeit der letzte Auftritt der Leverkusener in der Champions League sein - aber da hätten sie dann auch wirklich nichts verloren.