Einigkeit nur bis zur Wahl
Es ist nicht ganz klar, ob diese spezielle Formulierung für die Grundsatzerklärung von Sibiu ein Akt subtiler Selbstironie ist. Das Versprechen jedenfalls, man werde "gemeinsam durch dick und dünn" gehen, ist schon bei Ehepaaren oft zweifelhaft. Und da geht es nur um zwei und nicht um 27 Partner. Schon in der Vergangenheit haben die europäischen Länder gezeigt, dass Familienfehden unter ihnen besonders erbittert ausgefochten werden. Da nützen solche Freundschaftsschwüre wenig, schließlich geht es um Macht und Interessen. Zumal der nächste große Krach schon programmiert ist.
Die Sache mit dem Spitzenkandidaten ist blöd
Die Regierungschefs einiger kleiner Länder machen aus ihrer Ablehnung gegen das Auswahlverfahren für den nächsten EU-Kommissionschef keinen Hehl. Auch der französische Präsident ist Teil des Widerstandes. Sein Gegenargument hat außerdem einiges für sich. Erst transnationale Wahllisten für die Parteienfamilien in Europa würden eine gewisse Zwangsläufigkeit hervorbringen, aus der ein Sieger einen Anspruch auf den europäischen Spitzenjob ableiten könnte.
Warum zum Beispiel soll ein griechischer Konservativer, der auf die Wahl von Manfred Weber in seiner Fraktion im Europaparlament keinen Einfluss hatte und zumal den Deutschen nicht kennt, sich von ihm vertreten fühlen? Und zwar besser als vom ebenfalls konservativen Franzosen Michel Barnier, der als möglicher Kompromisskandidat gehandelt wird?
Weber kämpft verzweifelt gegen diese Erosionserscheinungen an, die seinen Anspruch auf das Amt des EU-Kommissionspräsidenten infrage stellen. Inzwischen entsteht auch der Eindruck, dass der Bayer sich dabei verkämpft. Wer allzu laut trommelt, kann leicht zum Verlierer werden in einem Streit, bei dem es um die Macht der europäischen Staaten geht, einen Kommissionspräsidenten nach ihrem Gusto auszuwählen.
Und außerdem: Der Kandidat hat gleich mehrere große Schwächen. Erstens: Er ist keine Frau. Zweitens: Ihm fehlt die Regierungserfahrung. Und drittens: Er kommt aus dem größten Mitgliedsland, dem die anderen sowieso gern vorwerfen, es würde die EU dominieren. Auch sein Label als selbsternannter "Brückenbauer" ist eine Schwäche. Viele werfen ihm vor, dass er jahrelang die Brücken zum Ungarn Viktor Orban nicht abgebrochen hat, der vor aller Augen zum Diktator mutierte. 'Klare Kante" wäre da vielleicht eine erfolgreichere Ansage.
Ein beispiellos blutleerer Wahlkampf
Dass Manfred Weber seinen Anspruch von demokratietheoretischen Überlegungen ableitet – das Parlament wählt den Quasi-EU-Regierungschef –, ist auch deshalb zweifelhaft, weil das Europaparlament zuletzt zwar deutlich an Einfluss gewonnen hat, die Bürger sich aber weiter ziemlich wenig dafür interessieren. Oder hat jemand je einen blutleereren Wahlkampf gesehen? Er scheint aus nichts als vereinzelten Podiumsdiskussionen und einsamen Plakaten an unschuldigen Bäumen und Laternenpfählen in den Mitgliedsländern zu bestehen.
Und warum sollen sich die Bürger für diese ihnen unbekannten Kandidaten erwärmen, die bis heute nicht beweisen konnten, dass sie für den Alltag und die Zukunft der Menschen wichtig sind? Was ist das für eine unterfinanzierte, lieblose Veranstaltung, in der die Parteien ihr Geld und ihre Ideen für die nationalen Wahlkämpfe bunkern und nur pflichtschuldig und am Rande ein bisschen Europawahl spielen? So kann das nichts werden mit mehr Demokratie in Europa.
Das hat auch mit dem Personal zu tun. Immer noch gilt ein Sitz im Europaparlament als eine irgendwie zweitrangige Karriere. Das EP zieht nicht unbedingt die Klügsten und Besten an, und im nächsten Parlament wird darüber hinaus eine neue Auswahl von populistischen Europagegnern und Exzentrikern sitzen.
Der Streit wird heiß
Klar ist bei alldem, dass der Basar für den großen Postenschacher direkt nach der Wahl eröffnet wird. Dann geht es um Personalpakete, um Groß gegen Klein, Nord gegen Süd und Ost gegen West. Und natürlich sollen endlich auch einmal ein paar Frauen dabei sein, wenn für EU-Kommission, Parlament und Rat neue Präsidenten, für die EZB ein neuer Chef und für den Auswärtigen Dienst ein neuer Top-Diplomat ausgewählt werden.
Spätestens dann ist auch Schluss mit Friede, Freude, Eierkuchen und den freundlichen Versprechen von Sibiu. Vielen EU-Regierungschefs dürfte klar sein, wie wichtig dieses Personalkarussell tatsächlich ist. Die EU wird in den nächsten Jahren um ihren Bestand und ihre Zukunft kämpfen. Schwache Kandidaten kann sie sich in dieser Lage nicht leisten.