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Ende der Hoffnungen

Barbara Wesel22. Mai 2015

Das Gipfeltreffen der EU mit den östlichen Nachbarländern in Riga musste notwendigerweise in einer Enttäuschung münden. Denn Russland lässt den Europäern kaum politischen Spielraum, meint Barbara Wesel.

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Lettland Riga Eastern Partnership summit EU-Gipfel Östliche Partnerschaft
Die Nationalbibliothek in Riga war Schauplatz des EU-Gipfels mit den Staaten der östlichen PartnerschaftBild: EU COUNCIL

EU-Ratspräsident Donald Tusk nahm es sich heraus. Er sagte laut, was etwa Bundeskanzlerin Angela Merkel streng vermied: Tusk sprach offen über den "steinernen Gast" beim Gipfeltreffen in Riga, nannte ihn beim Namen und befand ihn für hässlich. Gemeint mit der Redewendung ist das auf dem Gipfel nicht anwesende und doch überaus präsente Russland. Tusk schimpfte über Präsident Wladimir Putin und seine "Unzulänglichkeiten, die er mit destruktiven, aggressiven und schikanierenden Taktiken gegenüber den Nachbarländern" kompensiere. Der polnische Polterer thematisierte damit den Konflikt, der dieses östliche Partnerschaftstreffen weitgehend lähmte.

Alle Diskussionen über Fortschritte in Richtung EU, über Demokratisierung, über den Kampf gegen Korruption oder die Rechtssysteme in den Ländern am östlichen Rand Europas stehen stets unter dem Vorbehalt, dass man damit Moskau nicht reizen dürfe. Niemand will die schwierige Balance in Gefahr bringen, die die Europäer für die Ostukraine ausgehandelt - und mit der sie den militärischen Konflikt in eine Art gefrorenen Konflikt verwandelt haben.

Bloß keine Zusagen machen

Das verbotene Wort in Riga hieß deshalb: Beitrittsperspektive. In der gemeinsamen Erklärung des Gipfels wird alles sorgsam vermieden, was auch nur in die Nähe konkreter Aussichten oder gar Zusagen kommt. Stattdessen wird vage von "Annäherung" und "Zusammenarbeit" gesprochen. So soll etwa das bereits unterzeichnete Freihandelsabkommen mit der Ukraine Anfang nächsten Jahres in Kraft treten. Aber es gibt nicht einmal ein halbes Versprechen für baldige Visa-Erleichterungen. Zu groß ist die Angst vor einer Massenemigration in Richtung Westeuropa.

Und dieses Beispiel zeigt, was in den vergangenen Jahren aus der ursprünglichen großen Idee der östlichen Partnerschaftspolitik geworden ist: Ein Buffet der politischen Einzelmaßnahmen und Abkommen über kleinste Schritte der Kooperation und des Entgegenkommens. Regiert von der Angst vor den Reaktionen Moskaus.

Die Enttäuschung war programmiert

Schon vor dem Beginn des Treffens wurde geklagt, dass dieser Gipfel in einer Enttäuschung enden würde, und dass die Partnerschaftspolitik gescheitert sei. Das ist richtig. Aber der Grund dafür ist, dass sich die politischen Verhältnisse auf unvorhersehbare Weise verändert haben. Den drei eher westlich orientierten Nachbarn Ukraine, Georgien und Moldau stehen heute in Weißrussland, Armenien und Aserbaidschan drei andere gegenüber, die Moskau Gefolgschaft leisten. Und in mehreren dieser Staaten gibt es durch das Zutun Moskaus ungelöste Regionalkonflikte.

Andererseits hat inzwischen sogar Weißrussland, fest verankert im russischen Orbit, Angst vor zu viel Übermacht von Wladimir Putin. Das Beispiel Ostukraine erschreckt sogar Diktator Lukaschenko. Und dieser hat im Westen ein paar Bonuspunkte gewonnen durch seine Hilfe bei den Minsker Verhandlungen. Deshalb lässt die EU auch in Richtung seines autoritären Regimes eine kleine Seitentür offen. Allein Aserbaidschan wird immer diktatorischer und entfernt sich von jeglicher Gemeinsamkeit. Und so ist die Antwort der EU auf die komplexe Situation in den Ländern am östlichen Rand eine Art Nachbarschaftspolitik à la carte. Für jeden gibt es einen gesonderten Ansatz, spezielle Hilfsprogramme, kleine Zugeständnisse oder auch Ermahnungen. Aber von Perspektiven oder gar Zukunftsvisionen ist keine Rede mehr.

Barbara Wesel Porträt
Barbara Wesel, Europa-Korrespondentin der DWBild: Georg Matthes

Klar, dass Länder wie die Ukraine oder Georgien frustriert und enttäuscht sind. Wenngleich auch der ukrainische Präsident Poroschenko seine Gefühle verbirgt. Schließlich weiß er, wie viel er noch an konkreten Reformschritten schuldig ist, bevor auch nur die kleinste Chance besteht, dass die Ukraine der EU näher kommen könnte. Für die Entwicklung der Zivilgesellschaft und den demokratischen Fortschritt nicht nur in seinem Land ist das ein verheerendes Signal.

Die Bürger spüren, dass sie sowieso keine Chance haben und ihre Wünsche keine Rolle spielen. Die Europäer aber stecken in der Zwickmühle zwischen der Rücksicht auf Moskau und der Unterstützung der Nachbarländer. Sie agieren nur noch mit größter Vorsicht. Von dem anfänglichen Optimismus bei der Begründung der östlichen Partnerschaft vor sechs Jahren ist nichts geblieben. Europa wagt es nicht, derzeit ein Signal der Stärke in Richtung Osten zu schicken. Das ist schade - aber man nennt es Realpolitik.