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Endlich Klartext im NSU-Prozess

19. November 2017

Die Plädoyers der Nebenkläger haben mit Verzögerung begonnen. Sie sind auch eine Abrechnung mit staatlichen Behörden. Das passt nicht allen, ist aber unumgänglich, meint Marcel Fürstenau.

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Mordopfer der NSU
Angehörige der zehn NSU-Opfer treten als Nebenkläger auf - ihre Plädoyers haben jetzt begonnenBild: picture-alliance/dpa

Monatelang ist das Strafverfahren gegen die mutmaßliche Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) ins Stocken geraten. Dabei sah es nach dem im September beendeten Plädoyer der Bundesanwaltschaft so aus, als könnten noch in diesem Jahr die Urteile gefällt werden. Doch unter dem Eindruck der hohen Strafmaßforderungen für Beate Zschäpe und zwei ihrer Mitangeklagten entschieden sich deren Verteidiger für eine bewährte Verzögerungstaktik: Ein Befangenheitsantrag nach dem anderen prasselte auf den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl und seine Kollegen nieder.

Es waren hoffentlich die letzten verzweifelten Störmanöver, um den NSU-Prozess vor dem Münchener Oberlandesgericht doch noch zum Platzen zu bringen. Seit dem vergangenen Mittwoch, dem 387. Verhandlungstag (!), haben endlich die Nebenkläger das Wort. Dass sie die Angeklagten für überführt und schuldig halten, ist das eine. Die zweite Dimension ihrer Plädoyers hat mit der Rolle staatlicher Behörden zu tun. Die Nebenkläger prangern Rassismus bei der Polizei an, die fragwürdige Rolle mancher Verfassungsschützer im NSU-Umfeld und die ihres Erachtens zu lasche Anklageschrift.

Die gesellschaftlichen Umstände müssen thematisiert werden

Und sie haben gute Gründe, all das zu tun. Vieles von dem, was sie heftig kritisieren, deckt sich mit den Erkenntnissen der zahlreichen Untersuchungsausschüsse des Bundestages und der Länder. Auch die Ombudsfrau der NSU-Opfer und ihrer Angehörigen, Barbara John, legte den Finger in diese offene Wunde. Der ehemaligen Ausländerbeauftragten Berlins kann man beim besten Willen nicht unterstellen, unreflektiert und voreingenommen den Stab über staatliche Stellen zu brechen. Die CDU-Politikerin verkörpert genau das Gegenteil.

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
DW-Reporter Marcel Fürstenau berichtet regelmäßig vom NSU-Prozess vor dem Münchener Oberlandesgericht Bild: DW

Natürlich geht es im NSU-Prozess im Wesentlichen darum, die individuelle Schuld der Angeklagten festzustellen. Das dürfte in den zurückliegenden viereinhalb Jahren gelungen sein und wird sich in den zu erwartenden hohen Strafen niederschlagen. Der Staat sitzt zwar nicht auf der Anklagebank, trotzdem attestieren ihm die Nebenkläger zu Recht Versagen. So wie es der erste Untersuchungsausschuss des Bundestages schon 2013 getan hat.

Das eine ist vom anderen nicht zu trennen. Jahrelang wurde das rassistische Muster hinter der NSU-Mordserie durch Ignoranz staatlicher Ermittler sträflich übersehen. Dieses unverzeihliche Versäumnis klar und deutlich in die Plädoyers einfließen zu lassen, sind die Nebenkläger ihren Mandanten und der Öffentlichkeit schuldig. Dass sie es gleich zu Beginn ihrer mehrere Wochen dauernden Schlussworte getan haben, war gut und richtig.

Die tiefe Enttäuschung der Opfer-Angehörigen ist begründet 

Wenn der NSU-Prozess am Dienstag weitergeht, werden sich wahrscheinlich Angehörige von NSU-Mordopfern persönlich am Plädoyer beteiligen. Dass sie vom Verlauf des NSU-Prozesses enttäuscht sind, haben sie schon oft zum Ausdruck gebracht. Sie sind fest davon überzeugt, dass Beate Zschäpe und ihren toten Weggefährten Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos im Untergrund ein weitverzweigtes Helfer-Netzwerk hatten.

Diese Überzeugung lässt sich unter den Eindrücken des Strafverfahrens und der Untersuchungsausschüsse problemlos teilen. Das von Bundeskanzlerin Angela Merkel auf der Gedenkfeier für die NSU-Opfer gegebene Versprechen der schonungslosen Aufklärung wurde jedenfalls nicht eingelöst. Wäre das der Fall gewesen, würden die Plädoyers der Nebenkläger weniger heftig ausfallen.