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Politik

Fremdkörper Boris Johnson

14. Juli 2019

Deutsche Politiker stehen fassungslos vor dem Phänomen Boris Johnson in Großbritannien. Doch ob es gefällt oder nicht - an ihm führt kein Weg vorbei als künftigem britischem Premier, meint Christoph Hasselbach.

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Boris Johnson Tories Politiker
Bild: picture.alliance/empics/B. Lawless

Für die Bundesregierung bricht schon wieder ein Stück ihrer Welt zusammen. Es begann 2016 mit dem Brexit-Votum in Großbritannien - kaum jemand in Berlin hatte es kommen sehen. Wenige Monate später wurde Donald Trump Präsident der USA. Auch das kam völlig überraschend. Der vorläufige Höhepunkt dagegen ist absehbar: Der nächste britische Premierminister wird wohl Boris Johnson heißen.

Auch mit Theresa May mussten deutsche Politiker zwar schon über einen EU-Austritt verhandeln, der in ihrer Vorstellungswelt gar keinen Platz hatte. Aber May entstammt noch einer ähnlichen politischen Welt wie sie: Es ist eine Welt, in der sich auch die mächtigen Nationen freiwillig in Strukturen zügeln und einen vernünftigen Kompromiss zum Wohl aller suchen.    

Johnson und Trump haben eine Mission

Boris Johnson ist hierzu die Antithese, und er macht Berliner Politiker ähnlich sprachlos wie Donald Trump. Johnson wie Trump pfeifen auf Organisationen wie die Europäische Union, die eine Vielzahl von Ländern einbinden. Sie wollen allein ihre Nationen wieder "groß" und "frei" machen.

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DW-Redakteur Christoph Hasselbach

Trump freut sich bereits auf den Premier Johnson und lacht über May, weil sie in den Brexit-Verhandlungen zu nachgiebig gewesen sei. Diese Woche sah sich der Trump-kritische und EU-freundliche britische Botschafter in Washington zum Rücktritt gezwungen: Sein vernichtendes Urteil über Trump war an die Presse lanciert worden. Johnson rührte in einem Interview keinen Finger für ihn. Man sieht: Der Boden wird bereitet.

Und schon jetzt ist auch klar, dass Trump den Briten sofort nach dem Brexit demonstrativ einen exklusiven Handelsvertrag anbieten wird. Er und Johnson können nicht nur miteinander, sie haben eine gemeinsame Mission: Sie wollen zeigen, dass internationale Politik auch ganz anders geht - anders, als man in Brüssel und erst recht in Berlin zu denken gewohnt ist.      

Der Geist von 1940

Das alles wird natürlich schiefgehen und Großbritannien isoliert und verarmt zurückbleiben. Da ist man sich in Deutschland ganz sicher und freut sich schon voller Häme auf den Moment, da Johnson und die irregeleitete Hälfte der britischen Bevölkerung genau das einsehen werden. Wirtschaftlich spricht fast alles für diese These. Was man hierzulande aber völlig ausblendet, sind historisch-psychologische Assoziationen, die Johnson bewusst bedient: der Geist von 1940 - allein gegen die damalige deutsche Übermacht! Der Churchill-Biograph Johnson sieht sich selbst als zweiten Churchill, so abwegig das scheinen mag.   

Diesen antideutschen Reflex gilt es in Berlin zu bedenken - und zwar nicht nur im Umgang mit Großbritannien. Nach dem Brexit bleibt als einziges wirkliches Gegengewicht zu Deutschland in der EU Frankreich übrig. Und die Bundesregierung hat Präsident Emmanuel Macrons Reformvorschläge für die Eurozone weitgehend verhindert, wenn auch aus verständlichen Gründen. Sollte Ursula von der Leyen EU-Kommissionspräsidentin werden, dürfte das Gefühl einer deutschen Dominanz noch stärker werden.

Boris Johnson ist für die Berliner Politik ein Fremdkörper, ein Hallodri, mit dem sie nicht umzugehen weiß. Aber sie sollte ihn ernst nehmen. Boris Johnson dürfte nicht nur der nächste Premierminister einer der führenden Nationen der Welt werden, mit der Deutschland viel verbindet. Er ist auch eine gedankliche Herausforderung für eine politische Klasse, die glaubt, es gehe nur so, wie sie zu denken gewohnt ist.

Christoph Hasselbach
Christoph Hasselbach Autor, Auslandskorrespondent und Kommentator für internationale Politik