Der Juni könnte Griechenlands letzter Monat in der Euro-Währungsgemeinschaft werden, wenn sich die griechische Links-Rechts-Koaliton nicht endlich bewegt. Schon wieder drohen Zahlungstermine beim Internationalen Währungsfonds, schon wieder hören wir das kakofone Konzert der Ministerstimmen, die sowohl von einer unmittelbar bevorstehenden Pleite, aber auch einem unmittelbar bevorstehendem Durchbruch bei den Verhandlungen mit den internationalen Geldgebern tönen. Einen Überblick zu behalten, wie es wirklich um die griechischen Finanzen steht, fällt schwer. Die radikale Regierungstruppe in Griechenland hat ihn wohl selbst nicht mehr.
Statt die Verhandlungen der sogenannten "Brüsselgruppe" mit konkreten, in ihrer Wirkung kalkulierbaren Vorschlägen voranzutreiben, ergeht sich der griechische Ministerpräsident Alexis Tspiras (Artikelbild) vorsorglich in Schuldzuweisungen. Er wittert eine neoliberale Verschwörerbande in der EU am Werk, die Griechenland mit absurden Forderungen überziehe und an seinem Land ein Exempel statuieren wolle. Absurd sind einzig und allein die ideologisch verbrämten Thesen, die Alexis Tsipras in der französischen Zeitung "Le Monde" zum Besten gibt. Schuld seien nur die bösen Europäer und der Internationale Währungsfonds, jammert der griechische Premier.
Griechen halten Zusagen nicht ein
Erinnert sei nur daran, dass Griechenland am 20. Februar zugesagt hatte, binnen weniger Tage eine handfeste Liste mit Reformen vorzulegen, die es ermöglichen würde, im April weitere Hilfsgelder auszuzahlen. Diese Liste liegt bis heute nicht auf dem Tisch. Aufgelistet hat die griechische Regierung eine Reihe von Verwaltungsreformen bei den Steuerbehörden und eine Refom der Mehrwertsteuer. Diese Vorschläge zielen auf eine Verbreiterung der Steuerbasis und höhere Steuereinnahmen. Das ist ja ein Anfang, aber die Vorschläge reichen bei Weitem nicht aus, um den Staatshaushalt wieder ins Lot zu bringen und die griechische Wirtschaft wieder flott zu machen.
Der glücklose Finanzminister Yanis Varoufakis hat viel kostbare Zeit vergeudet, hauptsächlich mit Selbstdarstellung. Jetzt wird die Zeit wirklich knapp. Denn am 30. Juni läuft die Frist für weitere Hilfen an Griechenland ab. Spätenstens bis Mitte Juni wäre eine Einigung mit den Geldgebern nötig, um eine Auszahlung technisch überhaupt noch vornehmen zu können. Es bedarf noch der Zustimmung der Finanzminister der Euro-Gruppe und der Zustimmung mehrerer Parlamente in den Mitgliedsstaaten. Das griechische Parlament müsste noch einige Reformgesetze wenigstens auf den Weg bringen, was angesichts der Flügelkämpfe im linksradikalen Syriza-Bündnis von Ministerpräsident Tsipras auch nicht einfach werden dürfte.
Telefonseelsorge als Ersatz für Politik
Doch was macht Alexis Tsipras? Statt sich an die glasklaren Verfahren in der Euro-Gruppe zu halten, bemüht er die Telefonseelsorge. Fast täglich ruft er inzwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und den französischen Präsidenten François Hollande an. Er will eine "politische Lösung" auf höchster Ebene erreichen. Schon mehrfach haben ihm EU-Gipfel klar gemacht, dass es nicht am politischen Willen mangelt, Griechenland im Euro-Raum zu halten. Es mangelt einfach an klaren Zusagen aus Athen, die Bedingungen für weitere Kredite zu erfüllen. Natürlich muss über den weiteren Sanierungskurs Griechenlands geredet und verhandelt werden, auch auf höchster politischer Ebene.
Doch zunächst, und das sollte Alexis Tsipras wissen, muss die akute Finanzkrise in Griechenland gelöst werden, die sonst in wenigen Wochen die Griechen aus dem Euroraum katapultieren könnte. Davor warnen ja auch schon die G7-Finanzminister, allen voran die USA. Griechenland braucht Luft zum Atmen. Ministerpräsident Tsipras kann sich so oft mit Merkel, Hollande und Kommissionspräsident Juncker treffen, wie er will: Entscheidungen trifft die Euro-Gruppe, alle 19 Staaten, und zwar einstimmig.
Vier katastrophale Monate
Die Schuld an der sich immer weiter zuspitzenden Finanzkrise in Griechenland trägt zu einem großen Teil die jetzige Mannschaft in Athen, die es offenbar nicht besser kann oder nicht besser weiß. Seit dem Regierungsantritt im Februar ist die griechische Wirtschaft wieder in die Rezession zurückgefallen, aus der sie sich gerade herausgekämpft hatte. Der Haushaltsüberschuss nach Abzug des Schuldendienstes hat sich in ein Haushaltsdefizit verwandelt. Das Vertrauen der Investoren ist völlig erschüttert. Die Buchungszahlen der Touristen gehen zurück.
Um überhaupt zahlungsfähig zu bleiben, kratzt die Regierung die letzten Barmittel von öffentlichen Versicherungen, Universitäten und Krankenhäusern zusammen. Ein Reservekonto des Internationalen Währungsfonds wurde zweckentfremdet. Die griechischen Banken hängen am Tropf der Europäischen Zentralbank, während die Sparer und Anleger das Geld aus den Banken abziehen und ins Ausland schaffen oder unters Kopfkissen legen. So geht das nicht mehr weiter.
Handeln oder Abtreten
Griechenland und Europa brauchen jetzt mutige Entscheidungen der Regierung in Athen. Oder die Regierung muss Platz machen für eine neue Mannschaft, die es besser kann. Der bisherige Auftritt von Syriza war ein Flop. Selbst wenn es in letzter Sekunde gelingt, Griechenland über den Juni hinaus in der Euro-Zone zu halten, ist unklar, was danach kommen kann. Das Vertrauen in die Regierung Griechenlands ist bei Europäern und Investoren nachhaltig gestört. Wer soll von Juli an das sicherlich nötige dritte Hilfspaket für Hellas aushandeln und finanzieren? Schuldzuweisungen in Zeitungsartikeln und gleichzeitige Telefonanrufe bei anderen Regierungschefs, die ja dann wohl zu den "neoliberalen Verschwörern" gehören, dienen der Sache nicht. Griechenland hat Besseres verdient. Alexis Tsipras muss endlich handeln, statt reden. Wenn er das nicht kann, sind Neuwahlen die bessere Lösung.