Heilsamer Ölpreisschock
9. Juni 2008Ein Schock war es für viele schon, als der Preis für ein Fass Rohöl (159 Liter) am Freitag (6.06.2008) an den amerikanischen Terminbörsen die neue Rekordmarke von 139 Dollar erreichte. Denn weder kurzfristig noch fundamental hat sich in den letzten Tagen irgendetwas an der Beziehung zwischen Angebot und Nachfrage nach dem schwarzen Energieträger geändert.
Da ist das enorme Wachstum der Schwellenländer, allen voran Chinas, das den weltweiten Durst nach dem schwarzen Energieträger stetig steigen lässt, während das Angebot an Öl dagegen viel langsamer wächst. Da gibt es technische Schwierigkeiten, genügend Raffineriekapazitäten aufzubauen, und die OPEC hat es seit Jahren versäumt, neue Förderkapazitäten aufzubauen – sie kann ihre Tagesförderung kurzfristig kaum erhöhen.
Kritik an Trichet
Das alles ist seit langem bekannt, und trotzdem hat der Ölpreis Ende vergangener Woche einen riesigen Satz nach oben gemacht. Unerklärlich ist das freilich nicht. Auslöser war vermutlich der Chef der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet – ohne es zu wollen. Der hatte nämlich am vergangenen Donnerstag im Anschluss an die Sitzung des Zentralbankrates die Märkte darauf vorbereitet, dass bald mit einer Zinserhöhung zu rechnen sei.
Diese Äußerungen hatten an den Devisenmärkten den Euro steigen und den Dollar fallen lassen. Ein fallender Dollar jedoch beflügelt die Spekulation um das Öl. Das ist wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung: Weil alle glauben, der Preis wird steigen, steigt er auch, und die Zocker an der Terminbörse setzen weiter auf steigende Preise. Für Hedge-Fonds zum Beispiel sind Bankaktien wegen der Immobilienkrise uninteressant geworden, das Geld fließt in Öl-Kontrakte.
Die Zocker nehmen Zukunft vorweg
An den Börsen wird die Zukunft gehandelt. Insofern nehmen die Zocker an der Terminbörse nur das vorweg, woran wir uns alle gewöhnen müssen: Dass die Preise für Öl und Gas auch künftig weiter steigen werden. In Europa wird der Ölpreisschock zwar durch den starken Euro abgemildert, doch die USA, die größte Volkswirtschaft der Welt, bekommen diesen Schock unmittelbar zu spüren. Das wird Bremsspuren hinterlassen in der Weltwirtschaft, keine Frage. Aber es könnte auch dazu führen, dass Volkswirtschaften wie Russland oder China, denen die Überhitzung droht, eine willkommene Abkühlung bekommen.
Doch es hilft nichts: Die Zocker an der Terminbörse nehmen nur die unausweichliche Verknappung vorweg. Die fossilen Energieträger Gas und Öl sind nun einmal endlich. Man muss andere Lösungen suchen, und zwar schnell. Je höher der Ölpreis, desto interessanter werden Alternativen, auch solche Alternativen, die bisher als unwirtschaftlich galten, weil sie an einem relativ niedrigen Ölpreis gemessen wurden. Wissenschaftler arbeiten an Szenarien für die Zeit nach dem Öl, forschen intensiv über unendliche Energiequellen wie Sonne, Wasser, Wind, Erdwärme, Biomasse.
Abhängigkeit vom Öl verringern
Wir haben längst erkannt, dass unsere endlichen Energiereserven viel zu wertvoll sind, um damit schlecht gedämmte Häuser zu heizen, mit dem Auto zum Briefkasten zu fahren oder mit dem Billigflieger kreuz und quer über den Globus zu fliegen. Jede Preisexplosion hat auch etwas Heilsames: Sie zwingt die Industrie, Energie noch effizienter einzusetzen, zwingt die Verbraucher, sich nach sparsameren Heizungen und Autos umzusehen, zwingt die Energieerzeuger, stärker als bisher in die Erforschung und Nutzung alternativer Energien zu investieren.
Je teurer Öl und Gas werden, desto lohnender wird jede Investition, die unsere Abhängigkeit vom Öl verringert. Die entwickelten Industrienationen haben nur noch eine Chance, ohne eine gewaltige Rezession aus der Preisspirale herauszukommen: Sie müssen sich unabhängig machen von Gas und Öl. So schnell wie möglich – auch wenn’s teuer wird. Das sind die Signale, die uns die Zocker an den Terminbörsen senden. Wir sollten sie ernst nehmen.