Kommentar: Hollywood erfindet sich neu
23. Februar 2015Kennen Sie noch das Musical "Chicago"? Hätten Sie gedacht, dass der Schocker "Das Schweigen der Lämmer" und das Sandalen-Epos "Gladiator" einst als "Bester Film des Jahres" ausgezeichnet worden sind? Und: Durften sich nicht auch das süßliche Melodrama "Zeit der Zärtlichkeit" und die Special-Effects-Oper "Herr der Ringe" mit dem wichtigsten Oscar schmücken? All diese Oscar-Sieger hat die Welt des Films in den letzten 20 Jahren gesehen.
Wie passt dazu, dass in diesem Jahr ein experimentierfreudiger Film wie "Birdman" der große Gewinner des Oscar-Abends war? Dass Filme wie "Grand Budapest Hotel" und "Whiplash" gleich reihenweise Oscars abräumen konnten? Und dass ein Werk wie "Boyhood", eine über 12 Jahre gefilmte Langzeitstudie über einen Jungen und ein Mädchen, immerhin einen Oscar gewann? Eigentlich passt das gar nicht zusammen. Oder hat sich hier fundamental etwas verschoben in Hollywood?
"New Hollywood" lange vorbei
Die Antwort ist eindeutig: Ja, es hat sich grundsätzlich etwas verändert. Hollywood steckt seit einigen Jahren in der Krise. Die Zeiten, in den Regisseure wie Martin Scorsese und Francis Ford Coppola, Robert Altman und Peter Bogdanovich den Herzschlag Hollywoods vorantrieben, sind lange vorbei. "New Hollywood" nannte man das damals in den 70er und frühen 80er Jahren. Doch irgendwann kamen andere Regisseure ans Ruder, sie hießen George Lucas, Steven Spielberg, James Cameron - um nur einige zu nennen.
Kino nur noch für die Rendite
Diese Regisseure feierten große Erfolge. An den Kinokassen vor allem. Sie etablierten das Blockbuster-Kino. Ein Kino, das mit enormen Budget-Summen produziert wurde - und das, wenn es gut ging, auch enorme Einspielergebnisse nach sich zog. 200 Millionen Dollar Budget, das war keine Seltenheit mehr. Und das Einspiel an der Kasse betrug dann manchmal ein Vielfaches dieser Summe. Filme wurden, noch mehr als jemals zuvor in der Geschichte Hollywoods, gezielt auf Rendite gedreht.
Das ging oft gut, manchmal auch nicht. Es waren die Produzenten, die die anspruchsvolleren und phantasievollen Regisseure verdrängten und dieses Blockbuster-Kino für die ganze Welt etablierten. Star-Wars-Erfinder George Lucas zog sich vom Regiestuhl zurück und produzierte nur noch. Spielberg gelangen immerhin zwischendurch noch respektable Filme. Doch Lucas, Spielberg und Co. öffneten im US-Film die Schleusen für ein rein kommerziell orientiertes Denken. In den letzten Jahren hat sich das tot gelaufen. Am sichtbarsten wird das in der Entwicklung, dass ehemalige Erfolgsfilme in immer neuen Fortsetzungen gedreht werden.
Und auch der Erfolg der US-TV-Serien hat damit etwas zu tun. "Fernsehen ist das neue Kino" lautet ein viel zitierter, aber ebenso dummer wie falscher Spruch. Denn in anderen Weltgegenden ist das Kino beileibe nicht in der Krise. Aber eben in Hollywood. Deswegen orientieren sich viele intelligente US-Filmschaffende in jüngster Zeit in Richtung Fernsehen. Weil sie eben nicht weiter mitmachen wollen im seelenlosen Blockbuster-Kino à la Hollywood.
Seit zwei, drei Jahren ist Besserung in Sicht
Doch seit einiger Zeit ist Besserung auch auf der großen Leinwand in Sicht. Eine neue Generation von Hollywood-Regisseuren und Produzenten macht wieder auf sich aufmerksam. Vor allem mit formalen Experimenten, mit künstlerisch ambitionierten Filmen. Richard Linklater und sein "Boyhood" ist ein Beispiel dafür. Auch Wes Anderson, dessen "Grand Budapest Hotel" vier Trophäen gewann. Und der Mexikaner Alejandro González Iñárritu. Hollywood hat es ja seit jeher verstanden, Talente aus dem Ausland anzulocken. Ein paar Namen mehr, die in der letzten Oscar-Nacht gar nicht dabei waren, könnte man noch nennen. Die Oscars für "Birdman", "Boyhood" und "Grand Budapest Hotel" sind also nur das sichtbarste Zeichen für diese Renaissance Hollywoods. Es ist schön, dass die "Academy of Motion Picture Arts and Sciences", die die Oscars alljährlich vergibt, das nun zum Ausdruck gebracht hat.