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Politik

Der richtige Präsident zur richtigen Zeit

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Alexander Kudascheff
17. März 2017

Ein früherer Pastor mit Diktaturerfahrung - so könnte man Joachim Gauck charakterisieren. Er hat beides nie abgelegt und das hat seine Amtszeit als Bundespräsident geprägt, meint DW-Chefredakteur Alexander Kudascheff.

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Deutschland Abschiedsrede von Bundespräsident Gauck
Bild: Reuters/H. Hanschke

Joachim Gauck war ein Bundespräsident par excellence. Nach seinen zwei unglücklichen Vorgängern - Horst Köhler und Christian Wulff - hat er dem Amt wieder Autorität verschafft. Eine Autorität, die auf der Wucht und der Kraft des Wortes beruhte. Gauck hat sich mit inspirierten und inspirierenden Reden zu Wort gemeldet. Er hat den Deutschen versucht klar zu machen, welche Rolle sie in der Welt spielen müssen, wie sie angesehen werden, was von ihnen erwartet wird.

Der Prediger

Und man tritt dem früheren Pastor nicht zu nahe, wenn man feststellt: Oft waren seine Reden Predigten, Ermahnungen, Worte von der imaginären Kanzel. Und da Gauck ein höchst emotionaler, ein unwahrscheinlich sentimentaler Mensch ist, hat er sich hinreißen und oft von seinen Gefühlen hinweg reißen lassen. Das hat nicht jedem gefallen, aber dem Amt eine menschliche Färbung gegeben.

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DW-Chefredakteur Alexander Kudascheff

Das aber machte ihn gerade zu einem Bundespräsidenten par excellence. Ein Mann des Wortes, ein Mann, der seine Gefühle zeigte, ein Mann, der die Bürger ermahnte, ein Mann, der auch Unbequemes sagte - und Haltung zeigte. So als er die Olympischen Winterspiele im russischen Sotschi demonstrativ nicht besuchte - und allen klar war, dass er damit gegen die russische, die Putin'sche Expansionspolitik demonstrierte. So als er den Massenmord an den Armeniern in der Türkei im Ersten Weltkrieg einen Genozid nannte - und damit einen diplomatischen Eklat mit der Türkei auslöste. Oder gerade in diesen Tagen, als er demonstrativ den türkischen Flüchtling Can Dündar empfing oder sich für den in der Türkei verhaften deutschen Journalisten Deniz Yücel einsetzte.

Gauck, der scheidende Bundespräsident, war ein Mann des Wortes, ein Mann sorgfältig bedachter Gesten, ein streitbarer Demokrat selbst im unparteiischen Amt des Präsidenten. Ein Engagierter und gelegentlich ein Enragierter. Ein Mann mit Courage, ein Mann, der sich im Osten Deutschlands dem rassistischen Pöbel stellte, der nicht zurückwich - selbst wenn es unbequem war. In diesem Sinne war Gauck der erste Republikaner im Staat. Er lebte die Werte der Republik vor, die wehrhafte Demokratie, die Unantastbarkeit der Menschenwürde. Seine unbeugsame urdemokratische Gesinnung war unbestechlich - und Ergebnis seines Lebens in der ostdeutschen Diktatur.

Ein unangepasster erster Bürger

Gauck war ein Präsident zur richtigen Zeit. Ein Mann der richtigen Worte und Zeichen im richtigen Moment. Und doch war er ein Unzeitgemäßer. Ein Präsident, der nicht abgeschliffen war im politischen Alltag, in den unendlichen Prozessen der Gegenwartsdemokratien, in welchen Kanten und Profile oft verschwinden. Ja, er war ein unangepasster erster Bürger Deutschlands.

Dass er auf eine zweite Amtszeit nun verzichtet hat, liegt an seinem Alter. Die weit überwiegende Mehrheit der Deutschen hätte ihn gerne weiter im Schloss Bellevue gesehen. Gauck hat erkannt, dass dafür seine Kräfte vielleicht nicht reichen. Auch dafür gebührt im Dank. Er hat das Amt über seine Person gestellt.

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