Kommentar: Kein Putsch gegen Putin
27. Juli 2014Fünf Monate. So viel Zeit ließ sich die Europäische Union, um ihren Worten Taten folgen zu lassen. Endlich reagiert Europa auf Russlands Vorgehen in der Ukraine. In den nächsten Tagen sollen harte Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängt werden. Es war nicht die Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim und nicht der schlecht verdeckte Krieg in der Ostukraine mit hunderten toten Ukrainern, der Brüssel zu diesem Schritt bewegt hat. Nein. Es war der Abschuss eines malaysischen Passagierflugzeugs mit rund 300 Toten, für den ganz offenbar prorussische Separatisten und ihr Helfer Russland die Verantwortung tragen.
Der Einfluss der Oligarchen
Die Konfrontation zwischen dem Westen und Russland steht in diesen Tagen an einem Wendepunkt. Bisher haben russische Politiker für westliche Sanktionen wie Kontensperrungen und Einreiseverbote für Einzelpersonen nur Spott übrig. Ein Mückenstich sei das, mehr nicht. Nun holt Europa schweres Geschütz heraus und will mit Sanktionen gegen russische Unternehmen Moskau zwingen, die Ukraine in Ruhe zu lassen.
Der Bundesnachrichtendienst (BND) will herausgefunden haben, dass es deswegen zu einem Kampf zwischen politischen Hardlinern und Wirtschaftseliten um Einfluss auf Russlands Präsident Wladimir Putin gekommen sei. Das berichtet das Magazin "Der Spiegel". Die mächtigen russischen Oligarchen sollen Angst um ihre Geschäfte, ihre Villas an der Côte d'Azur und ihre Milliarden auf westlichen Bankkonten bekommen haben.
Werden die Oligarchen jetzt Putin zum Einlenken zwingen? Werden sie den Kremlchef möglicherweise in einem Putsch stürzen – so wie 1964 der kommunistische Parteiführer Nikita Chruschtschow entmachtet wurde? Wer das glaubt, ist naiv.
Putin hat mehr als zehn Jahre lang sein Herrschaftssystem aufgebaut. Auf Schlüsselposten sitzen seine Leute. Das gilt auch für die Wirtschaft. Politiker und Oligarchen wissen, dass sie ihr Leben riskieren, wenn sie gegen den Staatschef und seine engsten Vertrauten aufbegehren.
Lange vor der Annexion der Krim bereitete sich der Kremlchef auf eine Konfrontation mit dem Westen vor. Staatsbeamten wurde unter anderem verboten, Eigentum im Ausland zu besitzen. So machte sie Putin für westliche Sanktionen weniger angreifbar.
Die Antwort von Putin
Wird Putin vielleicht von alleine seinen Kurs in der Ukraine ändern? Auch das wird sicherlich nicht passieren. Der russische Staatschef hat alle Brücken hinter sich abgebrochen, er kann nicht mehr zurück. Die Propagandamaschine läuft auf Hochtouren: Russland will seinen Einfluss auf die Ukraine um jeden Preis behalten. Auch wenn es Krieg und Russlands Isolation in der Welt bedeutet.
Die Konfrontation mit dem Westen wird als ein Endzeitkampf Gut gegen Böse hochstilisiert. Wenn Putin dem Druck der Sanktionen nachgibt, würde er als Schwächling gelten. Das wäre aus seiner Sicht politischer Selbstmord.
In den kommenden Tagen und Wochen wird Putin deshalb zurückschlagen. Er wird dem Westen weh tun, sehr weh. Zum Beispiel durch Sanktionen gegen europäische und US-amerikanische Firmen in Russland oder den Stopp von Öl-und Gaslieferungen. Er wird aber auch in der Ukraine seine Hilfe für die Separatisten ausbauen: mehr Söldner, mehr Waffen. Auch eine offene Invasion könnte nun unmittelbar bevorstehen, getarnt als Friedenseinsatz.
Die EU wollte das nicht provozieren und hielt sich mit harten Sanktionen unter anderem deshalb zurück. Doch der Abschuss der malaysischen Boeing ließ keine andere Wahl. Solange Putin an der Macht ist, wird er seinen Feldzug gegen die Ukraine fortsetzen. Europa und die Welt müssen das endlich verstehen. Sanktionen sind der richtige Weg, um Russland zum Einlenken zu bewegen. Das dürfte aber Jahre dauern.
Roman Goncharenko ist gebürtiger Ukrainer und Redakteur in der Hauptabteilung Europa der Deutschen Welle.