Kein Zurück mehr für Cameron
Der britische Premier tritt auf die europäische Bühne und schießt aus allen Rohren: Die EU müsse wissen, dass Großbritannien auch ohne sie überleben könne. "Gut gebrüllt, Dave" möchte man ihm da zurufen. "Aber Du musst wissen, dass wir auch ohne dich überleben können!" Was überzogene und schrille Rhetorik angeht, wird Cameron in den nächsten Monaten vermutlich allerhand Preise gewinnen. Aber man kennt das Spiel: Das Geschrei ist für das Publikum zu Hause bestimmt, in Brüssel beeindruckt es niemanden.
"Wir werden unsere Beziehung zur EU neu verhandeln", nur dann werde er dafür kämpfen in der Europäischen Union zu bleiben, so hatte David Cameron bei seinem Amtsantritt angekündigt. Und lange wurde spekuliert, was für dramatische Forderungen er wohl stellen würde, um den Verbleib Großbritanniens zu sichern. Die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit in Europa stand zum Beispiel auf der Liste. Doch da hat Angela Merkel ihm schon vor Monaten die rote Linie aufgezeigt und klar gemacht, die Freiheit überall in Europa zu arbeiten und zu leben gehöre zu den Grundlagen der Union.
Britische Boulevardpresse macht Stimmung
Inzwischen soll es nur noch darum gehen, dass Arbeitsmigranten aus der EU vier Jahre lang in Großbritannien keine Sozialleistungen bekommen dürfen. Das wird schwierig für die Juristen, die Regeln irgendwie passend zurechtzubiegen. Die britische Bevölkerung glaubt nämlich, dass die vielen polnischen, rumänischen und sonstigen Arbeitnehmer aus der EU die Sozialkassen des Landes ausnutzen. Die Boulevardpresse hat das den Leuten eingeredet. Nichts davon ist wahr, aber es geht hier schließlich auch nur um Symbolpolitik.
Auch in anderen Punkten hat Cameron inzwischen abgemilderte Forderungen präsentiert: Der Satz mit der "immer näheren Union" aus dem Lissabon-Vertrag kann sicherlich für Großbritannien irgendwie ausgeklammert werden. Die Franzosen hatten dem britischen Premier nämlich früh klar gemacht, dass echte Vertragsänderungen mit ihnen nicht zu machen seien. Cameron musste einsehen, dass sein Referendum nicht eine Kaskade weiterer Volksabstimmungen in anderen EU-Ländern hervorbringen dürfe, mit bekanntermaßen unvorhersehbaren Folgen.
Diskussion zur Unzeit
Insgesamt hat er nach Monaten der Diplomatie hinter den Kulissen sein Verhandlungspaket einigermaßen handhabbar gemacht. Es ist gerade noch weitgehend genug, um Streit in der EU zu simulieren, aber nicht mehr so radikal, dass der Abschied der Briten von Europa als bereits beschlossene Sache erschiene.
Dennoch hat der britische Vorstoß zwei entscheidende Geburtsfehler: Er kommt erstens zur Unzeit. Schlimmer: Er kommt zur unmöglichsten, falschesten, total verkehrtesten Zeit aller Zeiten. Die EU durchlebt gerade einen Stresstest, bei dem Werte, Solidarität und Zusammenhalt durch die Flüchtlingskrise auf eine gefährliche Probe gestellt werden. Sie braucht mühsame Verhandlungen über das Verhältnis zu Großbritannien so dringend wie eine Sommergrippe.
Jedes Referendum ist ein Risiko
Und zweitens: Selbst wenn sich die Europäische Union und der britische Premier auf ein paar veränderte Bedingungen für die britische Mitgliedschaft einigen können - er kann nicht garantieren, dass er die Briten damit überzeugen kann! Schon jetzt heulen die Hardliner in seiner eigenen Partei, die Forderungen seien viel zu schwach. Die Europafeinde bei den britischen Konservativen gleichen einem Teich voller Krokodile, so hat ein Insider einmal gewitzelt: "Sie bleiben friedlich, so lange du sie jeden Tag mit süßen Brötchen fütterst. Aber was machst du, wenn du keine Brötchen mehr hast?" In dieser Lage befindet sich David Cameron: Seine eigene Partei könnte am Ende die Europagegner im Land emotional dermaßen aufstacheln, dass sie gegen die EU-Mitgliedschaft entscheiden, selbst wenn in Brüssel Kompromisse ausgehandelt werden. Das wäre eine historische Niederlage für den britischen Premier. Und es wäre auch für sein Land und die EU insgesamt ein schwerer Schlag. Denn für die Europäer bedeutete es Destabilisierung in einem Moment, wo sie selbst um ihre Zukunft ringen.
David Cameron hat sich ohne Not in diese fatale Lage begeben. Seine Berater haben noch versucht, ihn von dem Versprechen eines EU-Referendums abzubringen. Denn die politische Erfahrung zeigt, dass Volksabstimmungen schwer zu beeinflussen und letztlich unberechenbar sind. Für den britischen Premier aber ist es zu spät: Er befindet sich jetzt in der wenig beneidenswerten Situation, dass er den Tiger reiten muss, weil er ihn zuvor mutwillig am Schwanz gezogen hat.
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