Kein zweites Ägypten im Sudan!
Monatelang waren die Proteste im Sudan meist friedlich verlaufen. Nun eskalieren sie in einer Form, die Schlimmstes befürchten lässt: Sogenannte "Sicherheitskräfte" attackieren gewaltsam Demonstranten, es gibt Tote und Verletzte - und die Protestbewegung bricht bis auf weiteres ihre Kontakte zur Militärführung ab, mit der sie bereits seit Wochen im Clinch über die Machtaufteilung im Lande liegt. Die Armee will in einer künftigen Übergangsregierung - und offensichtlich auch darüber hinaus - die letzte Entscheidungsgewalt behalten. Opposition und Protestbewegung bestehen dagegen auf einer mehrheitlich zivilen Übergangsregierung sowie auf einer echten demokratischen Entwicklungsperspektive - anstelle einer vom Militär gelenken und repressiv agierenden Pseudo-Demokratie.
Notwendig ist maximale Zurückhaltung auf beiden Seiten. Jede weitere Eskalation muss vermieden werden. Denn niemand kann ein Interesse daran haben, dass die Situation im Sudan nach dem friedlich erreichten Sturz von Langzeit-Diktator Omar al-Baschir im vergangenen April doch noch außer Kontrolle gerät und ein weiteres Land der Region im Chaos versinkt. Der Sudan gehört - insbesondere seit der Abspaltung des ölreichen Südens 2011, aber auch aufgrund von Misswirtschaft und Korruption - zu den zwanzig ärmsten Ländern der Welt. Steigende Brotpreise waren dementsprechend Ende vergangenen Jahres auch der Auslöser für die Protestbewegung gewesen, die stark von der Mittelschicht getragen wurde und von Beginn an bewundernswert konsequent auf zivile Protestformen gesetzt hatte.
Totengräber des "Arabischen Frühlings"
Allerdings bilden weder Militär noch Protestbewegung im Sudan völlig einheitliche Blöcke. Unterschiedliche Partikularinteressen sind auf beiden Seiten vorhanden und können die Lage jederzeit zusätzlich verkomplizieren und außer Kontrolle geraten lassen. Jede einzelne Provokation birgt ein Eskalationsrisiko. Deshalb verdienen alle Demonstranten im Sudan, die auch in dieser Lage noch konsequent auf rein friedlichen Protest setzen, jede uneingeschränkte Unterstützung - auch aus Europa.
Allerdings gibt es in der Region starke Kräfte, die keinerlei Interesse an einer erfolgreichen Demokratisierung in ihrer Nachbarschaft haben, allen voran die Regime in Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ägypten. Alle drei Länder gehören unbestreitbar zu den Totengräbern des sogenannten "Arabischen Frühlings"; alle drei Regime unterstützen im Sudan das Militär, dessen Soldaten auch im Jemen-Krieg benötigt werden; alle drei Regime haben kein Interesse an einer erfolgreichen Demokratisierung im Sudan, weil dies auch oppositionellen Kräften im eigenen Land Auftrieb geben könnte. In Ägypten beispielsweise wurden 2013 beim sogenannten "Rabaa-Massaker" hunderte Menschen getötet, um die Muslimbruderschaft von der Macht zu vertreiben und weitere demokratische Experimente in der Region zu verhindern. Das Regime, das heute dort herrscht, ist repressiver denn je. Eine ähnliche Entwicklung im Sudan muss unbedingt verhindert werden.