So hat man Joachim Löw noch nie erlebt: Bei der Vorstellung seiner WM-Analyse wählte der Bundestrainer harte, klare Worte und nannte bei der Suche nach Verantwortlichen für das blamable WM-Aus in Russland vor allem sich selbst. Von Fehleinschätzungen, Arroganz, Überheblichkeit und davon, es "verbockt" zu haben, war die Rede, außerdem von "großer Enttäuschung und großer Wut". Löw hörte sich so an, dass man schon die Sorge haben musste: Gleich sagt er in Donald-Trump-Manier "Du bist gefeuert!" und schmeißt sich selber raus.
Selbstverständlich folgte dieser Schritt nicht, schließlich hatten DFB, DFL und Profiklubs Löw zuvor schon ihr Vertrauen ausgesprochen. Und auch der Bundestrainer hatte gleich zu Beginn der 110-minütigen Marathon-Pressekonferenz betont, er besitze noch die Motivation und die Leidenschaft, die sportlichen Geschicke bei der Nationalmannschaft weiter zu leiten. Danach redete Löw Tacheles und legte eine WM-Analyse hin, die Respekt verdient.
"Umbruch light" im Kader
Doch so stark die Benennung der eigenen Fehler, so schwach fiel anschließend die Ankündigung von Konsequenzen aus. Zwar stellte Löw in Aussicht, das Spiel der deutschen Elf, das in Russland zu behäbig und zu wenig stabil nach hinten gewesen sei, solle "adaptiert werden", doch einen radikalen Umbruch bei der Kadernominierung für die anstehenden Spiele gegen Frankreich und Peru gab es nicht. Einzig Sami Khedira wurde zum prominenten Opfer. Er wolle "Raum und Platz für jüngere Spieler" auf seiner Position schaffen, habe er dem defensiven Mittelfeldspieler von Juventus Turin gesagt, so Löw. Er hielt Khedira aber gleichzeitig eine Hintertür auf, in Zukunft vielleicht doch noch einmal dabei zu sein.
Die drei Neuen, Thilo Kehrer, Nico Schulz und Kai Havertz, sind eher nominiert worden, um zu lernen und sich einzugewöhnen. 17 von 23 Mitgliedern des Kaders waren auch bei der WM bereits dabei - maximal ein "Umbruch light".
Kein klarer Schnitt bei Schneider und Siegenthaler
Halbherzig wirkt auch die Maßnahme, den bisherigen Co-Trainer Thomas Schneider zwar aus dem Trainerstab zu entfernen, ihn künftig aber als verantwortlichen Mann für das Scouting einzusetzen. Zumindest nach außen hin hat der ehemalige Cheftrainer des VfB Stuttgart bei Länderspielen oder seinen Pressekonferenzen nie nachweisen können, welchen Nutzen er für das Nationalteam hat. Gleichzeitig erfolgt keine Trennung vom bisherigen Chefscout Urs Siegenthaler, dem besonders die falsche Taktik gegen WM-Auftaktgegner Mexiko angekreidet wurde. Vielmehr wird der Schweizer "wegbefördert", hin zu einer "übergeordneten Position in der Gegnerbeobachtung". Ein klarer Schnitt ist das nicht.
Auch die weiteren Maßnahmen, wie die Verkleinerung des Betreuerstabes und das Anstreben von mehr Fannähe, war eher die Ankündigung kleiner Schritte nach dem Motto: "Machen wir eh schon, machen wir demnächst halt ein bisschen mehr".
Alles falsch oder alles richtig?
Daher bringt der Auftritt Löws und Bierhoffs keine vollständige Klarheit darüber, ob es wirklich besser wird. Die Wahrheit - um mal eine Fußballer-Phrase zu bemühen - liegt eben auf dem Platz. Soll heißen: Geht die erste Partie in der UEFA Nations League gegen Weltmeister Frankreich in die Hose, werden die Diskussionen direkt wieder laut werden. Und dann wird auch DFB-Präsident Reinhard Grindel in den Fokus rücken, weil er Löw früh, vielleicht zu früh, das Vertrauen ausgesprochen hat. Gewinnt Löws "neue Elf" aber gegen die Franzosen, hat der Bundestrainer wahrscheinlich alles richtig gemacht.
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