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Mehr Demokratie, weniger Handlungsfähigkeit?

Barbara Wesel Kommentarbild App *PROVISORISCH*
Barbara Wesel
5. Juli 2016

Nach harscher Kritik hat die EU-Kommission eingelenkt - sie lässt die nationalen Parlamente doch über das Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada abstimmen. Damit wird ein großes Gezerre beginnen, meint Barbara Wesel.

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Proteste gegen CETA und TTIP in Deutschland (Foto: DW)
Proteste gegen CETA und TTIP in DeutschlandBild: DW/S. Kinkartz

Völlig verrückt und völlig daneben - so beschimpfen Kritiker die EU-Kommission, weil sie das Handelsabkommen mit Kanada ohne die nationalen Parlamente ratifizieren wollte. Das sei die falsche Entscheidung zum falschen Zeitpunkt: Man dürfe doch in einer solchen Situation, wo gerade die Briten Europa abgewählt hätten, ein solches Abkommen nicht ohne Beteiligung der Volksvertreter in den Mitgliedsländern durchziehen. Damit wäre ja die Kritik an undemokratischen Verfahrensweisen in der EU auf das Schlimmste bestätigt und alle Vorurteile über Brüssel gleich dazu.

Die EU-Kommission gibt nach

Angesichts der Angriffe musste Kommissionschef Jean-Claude Juncker einlenken und die nationalen Parlamente bei der Ratifizierung von CETA mitreden lassen. Die Grünen im Europaparlament begrüßten diese Entscheidung sofort. Sie nannten sie einen "Erfolg für die Zivilgesellschaft und für die europäische Demokratie". Womit sie im Prinzip Recht haben, denn zweifellos ist es demokratischer, wenn alle 28 Parlamente der EU sich jetzt noch einmal über das Kleingedruckte im Handelsabkommen beugen.

Klar ist auch, dass dieser Vertragsentwurf - ebenso wie TTIP - den entscheidenden Geburtsfehler hat, dass über die Einzelheiten jahrelang im Geheimen verhandelt wurde. Das ist genau die Intransparenz, die Europa immer vorgeworfen wird. Also werden die Parlamente der Mitgliedsländer nachträglich noch einbezogen. Damit wird ein jahrelanges Gezerre beginnen. Denn der Handelsteil des Vertrages tritt in Kraft, sobald das Europaparlament zugestimmt hat. Die Teile aber, die nationale Zuständigkeiten berühren, werden in den Mitgliedsländern mit Änderungswünschen überzogen. Beim Vertrag mit Südkorea hat das über vier Jahre gedauert.

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Barbara Wesel ist DW-Korrespondentin in Brüssel

Und nicht abzusehen ist, wie lange der Ratifizierungsprozess bei TTIP dauern könnte, nach all der heftigen Kritik und den Protesten gegen das Abkommen mit den USA.

Entscheidungsprozesse werden noch länger

Freuen werden sich jetzt alle Gegner der Handelsabkommen mit ihrer Kritik etwa am Investorenschutz und den Schiedsgerichten. Aber wie berechtigt ist die reine Begeisterung an diesem Sieg für die "Demokratie"? Die Entscheidungsprozesse in der EU werden dadurch nämlich noch länger, und die Kommission mehr oder minder handlungsunfähig. Zwar soll sie einerseits für Wachstum und Arbeitsplätze sorgen, und kann andererseits im gegenwärtigen politischen Klima die weitere Liberalisierung der Märkte nicht mehr durchsetzen, die bisher als das beste wirtschaftspolitische Mittel galt.

Neue Grundsätze

Es gibt hier generell eine Menge ungeklärter Fragen: Wie kann die Balance zwischen demokratischer Öffentlichkeit und diskreter Verhandlungsführung vernünftig austariert werden? Wie soll künftig in Europa Wirtschaftswachstum geschaffen werden, wenn weitere Liberalisierung und Globalisierung nicht mehr gewollt sind? Wie viel Handlungsfähigkeit darf die EU-Kommission behalten, wo die Nationalstaaten lieber alles selbst entscheiden wollen?

Richtig interessant aber dürfte es werden, wenn es um die Ausstiegsverhandlungen mit Großbritannien geht: Dann müssten nach dem Vorbild von CETA nicht nur die Regierungen der EU-Mitgliedsländer, sondern auch sämtliche nationale Parlamente über die neuen Handelsabkommen mit den Briten abstimmen dürfen. Wenn es so kommt, wird sich der Brexit zum längsten Scheidungsverfahren der Neuzeit auswachsen.

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