Der Freitag in Hamburg geht als politischer Thriller in die Geschichte der Christdemokraten ein. Dramatische Szenarien wurden im Vorfeld durchgespielt, Tränen flossen - aus Freude und Enttäuschung.
Und dann hat Annegret Kramp-Karrenbauer einen denkbar knappen Sieg errungen. 35 von 999 Stimmen haben am Ende entschieden. Die Kanzlerin war sichtlich erleichtert. Es lief genau so, wie sie es sich gewünscht hat.
Freier Rücken für die Kanzlerin
Für Merkel wäre es deutlich schwieriger geworden zu regieren, wenn einer der beiden Gegenkandidaten von Kramp-Karrenbauer gewonnen hätte. Da Merkels Favoritin das Rennen machte, kann man vorerst von einer stabilen Zusammenarbeit zwischen dem Kanzleramt und der Parteispitze ausgehen. Auch wenn AKK - wie die Neue genannt wird - sich schnellstens ein stärkeres eigenes Profil zulegen und sich von ihrer Vorgängerin inhaltlich absetzen muss, wird sie ihr in wichtigen Fragen den Rücken freihalten wollen. Darauf wird sich Merkel verlassen.
Dennoch muss Kramp-Karrenbauer jetzt die Chance ergreifen und sich von ihrer Förderin ein Stück weit befreien. Das ist dringend nötig. Wie soll sie sonst alle Flügel befrieden? Denn bisher galt sie als Merkels Frau. Sie muss ihre konservative Einstellung klarer machen - nicht nur im Inland, sondern auch im Umgang mit Russland und den Populisten in Europa. Ebenso kann die Kanzlerin frei von parteipolitischen Zwängen regieren. Eine Win-Win-Situation.
Schafft sie das?
Wird das der neuen CDU-Vorsitzenden gelingen? Das hängt jetzt auch von anderen führenden Parteimitgliedern ab. Wenn AKK die CDU einigen und glaubwürdig für das wichtige Wahljahr 2019 machen will, muss sie ihre Gegenkandidaten und deren Anhänger mitnehmen. Die neue Parteivorsitzende hat das schon an ihrem ersten Tag versucht. Sie bietet Jens Spahn und Friedrich Merz Zusammenarbeit an und holt bereits Leute aus deren Lagern in ihr Team - so geht gutes Führen.
Sie schlug gleich den Vorsitzenden der Jungen Union, Paul Ziemiak, der ursprünglich das Lager ihrer Gegenkandidaten unterstützte, für den Posten des Generalsekretärs vor. Er sagte zu.
All das kann dennoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Druck innerhalb der CDU hoch ist. Wer im Plenarsaal war, als die Ergebnisse bekannt gegeben wurden, sah die Schockstarre und die große Enttäuschung in den Gesichtern des konservativen Lagers. Auch wenn die Gegenkandidaten von Annegret Kramp-Karrenbauer - Merz und Spahn - vor der Wahl erklärten, sich für die Einigkeit der Partei einzusetzen, darf man einen Tag danach schon erste Zweifel haben. Vielleicht weniger bei dem ehrgeizigen und jungen Jens Spahn, der noch eine lange politische Karriere vor sich hat. Er will jetzt kein Spielverderber sein. Doch das große Merz-Lager, das an die wirtschaftsliberale CDU der 90er Jahre anknüpfen will, muss erst noch überzeugt werden.
CDU vor dem Schicksalsjahr
Die CDU braucht die Konservativen. 2019 sind nicht nur Europawahlen, sondern auch drei Landtagswahlen in Ostdeutschland - also genau dort, wo die Populisten am stärksten sind. Viele CDU-Wähler sind dort zu der rechtspopulistischen AfD übergelaufen. Der Kampf um jede Stimme läuft. Das kann nur gelingen, wenn es die Neue schafft, alle Flügel innerhalb der CDU zusammenzuführen.
Nach 18 Jahren Angela Merkel an der CDU-Spitze haben die Delegierten entschieden, dass eine Merkel-Vertraute die Parteiführung übernehmen soll. Warum eine Revolution, wenn es auch über Evolution geht! Merkels Stil ist die Personifizierung dieser Erkenntnis. Mit ihrem stufenweisen Rückzug von der Macht verhilft sie den Christdemokraten zu einer Erneuerung. Schritt für Schritt. Genau so gestaltet sie ihren Abgang.