1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Nachher ist man immer schlauer

27. April 2015

Trotz internationaler Hilfe für Nepal fehlt es weiterhin an allem. Dass das Land mit den Folgen der Erdbeben-Katastrophe völlig überfordert ist, sollte uns selbstkritisch zum Nachdenken bringen, meint Alexander Freund.

https://p.dw.com/p/1FFmd
Nepal Erdbeben Hilfsaktion Deutschland
Rettungsmannschaften aus Deutschland sind bereits am Sonntag nach Nepal aufgebrochenBild: Reuters/W. Rattay

Wieder einmal hat eine Naturkatastrophe die Ärmsten der Armen getroffen. Schreckliche Bilder erreichen uns aus völlig zerstörten Städten. Überall Tote und Verschüttete. Auch zahlreiche Touristen sind am Mount Everest durch Steinschläge und Lawinen ums Leben gekommen. Immerhin ist die internationale Hilfsmaschinerie jetzt angelaufen. Und diese internationalen Helfer werden ja dringend benötigt, denn die Nepalesen sind offenkundig ziemlich überfordert.

Diese Gedanken und Aussagen kommen reflexartig, wenn die gewaltigen Naturgewalten uns Menschen mal wieder vor Augen führen, wie klein und hilflos wir zuweilen sind. Deshalb sind wir bereit zu helfen. Wir haben Organisationen und Institutionen, die im Katastrophenfall vor Ort helfen oder Hilfe organisieren können. Wir normalen Mitmenschen können zumindest spenden, um Not zu lindern. Und auch wir Deutschen machen das reichlich. Weil wir es uns leisten können. Diese Spenden sind genauso wichtig wie die Hilfe vor Ort, denn sie unterstützen diese professionellen Helfer. Und wir sind nun einmal nicht alle Suchhund-Staffelführer.

Mediale Inszenierung? Sei‘s drum!

Dass es in solchen Katastrophen eine breite Solidarität gibt, ist fantastisch. Sicherlich - die einen kommen schneller, die anderen brauchen länger. Hauptsache, sie kommen überhaupt, denn Hilfe wird dringend gebraucht. Inzwischen haben wir uns sogar daran gewöhnt, dass diese Hilfe möglichst medienwirksam initiiert wird. Allen Helfern ist es wichtig, dass die Landesflagge oder Spender-Namen auf den Hilfscontainern auch gut im Bild zu sehen sind. Sicherheitshalber tragen die Helfer aus aller Welt die entsprechenden Westen, damit auch ja zuzuordnen ist, aus welchem Land und von welcher Organisation diese Hilfe kommt. Dagegen ist überhaupt nichts einzuwenden. Tue Gutes und rede darüber. Und dem Hilfebedürftigen ist es letztlich egal, woher die Hilfe kommt. Hauptsache sie kommt.

Aber wir sollten uns mit der Kritik an schleppenden Rettungseinsätzen oder überforderten Verantwortlichen sehr zurückhalten. In einem Land wie Nepal kann man sehr viel kritisieren: die unfähige Regierung, die schwerfällige Bürokratie, die florierende Korruption und so weiter. Aber ist diese Kritik in solch einem Moment tatsächlich angebracht? Hilft sie irgendjemandem weiter?

Auch in High-Tech-Ländern gibt es Katastrophen

Vielleicht sollten wir einen Moment inne halten und uns erst einmal an die eigene Nase fassen. Wie gehen wir in unserem hochentwickelten Land denn eigentlich mit Katastrophen um? Oder dem, was wir für Katastrophen halten. Wenn ein Sturm tatsächlich mal Orkanstärke erreicht. Wenn die Flüsse alle paar Jahre über die Ufer treten. Wenn im Winter mal tatsächlich mehr als drei Flocken Schnee fallen. Dann ist auch die sprichwörtlich deutsche Ordnung schnell dahin. Dann brauchen auch wir Tage, bis Stromleitungen wieder repariert und umgestürzte Bäume beseitigt sind. Dann laufen auch hier Keller und Wohnungen voll und Menschen sind schockiert, dass Wasser sich selber seinen Weg sucht. Dann bilden sich kilometerlange Staus, Menschen frieren im Auto und Züge verspäten sich um Stunden, wenn sie nicht gleich komplett ausfallen.

Das alles aber sind Kleinigkeiten im Vergleich zu den großen Naturkatastrophen, bei denen nicht nur arme Länder machtlos sind. Das hochtechnisierte Japan lebt schon immer mit starken Erdbeben und baut entsprechend. Dank dieser Ingenieurskunst kamen durch das gewaltige Beben vor vier Jahren nur wenige ums Leben, der anschließende Tsunami aber riss 15.000 Menschen in den Tod. Und das, obwohl die Japaner seit Menschengedenken die todbringenden Tsunamis kennen und sich entsprechend zu schützen versuchen. Selbst die letzte verbliebene Supermacht USA konnte gegen den Hurrikan Katrina nichts ausrichten, obwohl sie doch Menschen zu Mond schicken kann. Mit Entsetzen sah die ganze Welt zu, wie New Orleans in den Fluten versank.

Freund Alexander Kommentarbild App
Alexander Freund leitet die Asien-Programme der DW

Dabei kann man solch eine Katastrophe sogar kommen sehen. Unsere Wettervorhersagen kündigen Stürme, Regen oder Schnee lange vorher an. Hochwasser gibt es jedes Jahr, und die Pegel steigen nur allmählich an. Verheerende Erdbeben aber wie jetzt in Nepal oder 2010 in Haiti zerstören ohne Vorankündigung tausende Existenzen. Natürlich wissen die Menschen in diesen Gebieten meist um die Erdbebengefahr. Aber was sollen sie denn tun? Erdbebensichere Häuser sind sehr teuer. Und im täglichen Überlebenskampf ist diese Sorge nicht die drängendste.

Langfristige Folgen

Wieder einmal hat eine Naturkatastrophe die Ärmsten der Armen getroffen. Neben der akuten Not ist aber auch der dauerhafte Schaden für Nepal gewaltig. Denn wenn vieles zerstört ist - zum Beispiel hochrangige Kulturschätze - dann kommen in Zukunft weniger Touristen. Dabei ist der Tourismus das einzige, was nennenswerte Devisen ins Land bringt. Entsprechend gilt den zahlreichen Touristen im Katastrophengebiet jetzt erhöhte Aufmerksamkeit. Das bedeutet aber auch, dass viele der ohnehin wenigen Hubschrauber im Lande eingesetzt werden, um die zahlungskräftigen Bergsteiger aus dem Himalaya auszufliegen. Das ist verständlich, denn auch sie haben zum Teil Schreckliches erlebt. Aber natürlich fehlen diese Hubschrauber an all den anderen Orten, wo die Not offenkundig größer ist. Die Touristen können das Katastrophengebiet verlassen und das Erlebte in ihren Heimatländern verarbeiten. Für die Nepalesen aber ist dieses verwüstete Katastrophengebiet die Heimat.

Die Zukunft wird zeigen, wie lang die internationale Solidarität mit ihnen anhält, wenn die Medien bereits zur nächsten Katastrophe, zum nächsten Krieg oder sonstigen medialen Großereignis geeilt sind. Nein, wir sollten unsere besserwisserischen Sprüche für uns behalten und den Menschen in Not auch in Zukunft helfen. Auch dann noch, wenn sie nicht mehr im medialen Schlaglicht des Weltgeschehens stehen. Nepal braucht jetzt keine klugen Ratschläge, sondern Decken, Medikamente, Wasseraufbereitungsanlage und vieles mehr. Wir können den Nepalesen helfen, die Not zu lindern, das Land wieder aufzubauen und Missstände abzubauen. Und nachher ist man immer schlauer.

Sie können unterhalb des Artikels einen Kommentar abgeben. Wir freuen uns auf Ihre Meinungsäußerung!

DW Mitarbeiterportrait | Alexander Freund
Alexander Freund Wissenschaftsredakteur mit Fokus auf Archäologie, Geschichte und Gesundheit@AlexxxFreund