Hölle auf Erden - und wir sehen zu
Der regelmäßige Konsum von Bildern über Tod und Zerstörung stumpfe ab, heißt es. Seit nun fast sieben Jahren erreichen uns täglich solche Bilder aus Syrien, werden wir täglich mit Zahlen über Tote und Verletzte konfrontiert. Und tatsächlich gehen wir oft damit so um, gerade wir Journalisten, als seien es abstrakte Größen: hier mal 30 Tote, dort 57 Verletzte, während Hunderttausende auf der Flucht sind. Als Hintergrundinformation erwähnen wir auch immer wieder, dass der dortige Bürgerkrieg inzwischen mehr als 500.000 Todesopfer gefordert hat. Eine halbe Million ist eine "schöne" runde Zahl. Wirklich nachvollziehen, erfassen, kann sie jedoch niemand.
Doch immer wieder bricht aus unserer täglichen Routine das Unfassbare hervor und erschüttert uns zutiefst. Eines der krassesten Fälle ist momentan die Lage in Ost-Ghuta. Der Vorort von Damaskus war bereits 2013 einem Giftgasangriff ausgesetzt. Seit fast fünf Jahren werden dort rund 350.000 Zivilisten von regimetreuen Truppen belagert und ausgehungert.
Diese Strategie wurde bereits mehrfach angewandt. Das bekannteste Beispiel ist der Fall von Aleppo. Die Stadt brach Ende 2016 nach der längsten Belagerung der vergangenen Jahrzehnte, die schätzungsweise 30.000 Tote gefordert hatte, zusammen.
Bombenhagel auf Schutzkeller
Seit mehreren Wochen versucht Damaskus, das strategisch wichtige, weil zwischen der Hauptstadt und dem internationalen Flughafen gelegene Ost-Ghuta zurückzuerobern. Die Gewalt stellt einen neuen Höhepunkt im mittlerweile siebenjährigen Bürgerkrieg dar: Die Artillerie der Armee schießt wahllos auf das zirka 100 Quadratkilometer große Gebiet nordöstlich von Damaskus, täglich fliegen syrische und russische Bomber an die 100 Angriffe und zerstören Krankenhäuser, Wohnräume und Schutzkeller der Zivilbevölkerung. Und dies, obwohl die Region zu den vier sogenannten Deeskalationszonen gehört, deren Schutz eigentlich auch von Moskau garantiert wird.
Die Folgen sind verheerend. Die Bevölkerung ist am Rande des Zusammenbruchs: Nur in den kurzen Feuerpausen verlassen die Überlebenden die unterirdischen Schutzräume, um fieberhaft zu versuchen, Verletzte zu retten und nach Nahrung zu suchen. Allein in den vergangen sechs Tagen sind fast 500 Zivilisten getötet worden, darunter 100 Kinder. In weiße Leichentüchern gewickelt, nur die kleinen, friedlichen Gesichter sichtbar, oft von den weinenden Vätern getragen, gehören ihre Bilder zum Schlimmsten, was von diesem Krieg an die Außenwelt gelangt.
Für Moskau sind ganz klar die Terroristen alleine verantwortlich. Mit diesem Begriff bezeichnen sie offiziell Kämpfer von al-Qaida und dem IS, die von allen Waffenstillstandsabkommen ausgenommen sind. Den Begriff weiten sie aber nach Belieben und je nach Bedarf auf alle Fraktionen der Opposition aus. Außerdem habe man der Opposition sicheres Geleit angeboten. Damit umschreiben Moskau und Damaskus die seit Jahren von ihnen betriebene Zwangsumsiedlung ganzer Bevölkerungen, die gegen das Regime sind. Für die Opposition ist das ein klares Kriegsverbrechen.
Eskalation mit Russland
Während täglich Menschen sterben, bereitet der UN-Sicherheitsrat seit schon zwei Wochen eine Abstimmung auf einen von Kuwait und Schweden eingebrachten Entwurf vor, der eine 30-tägige humanitäre Waffenruhe in Syrien vorsieht. Bisher ohne Erfolg. Bereits am Donnerstag scheiterte eine Einigung im Weltsicherheitsrat daran, dass die Russen mehrere Änderungen am Text gefordert hatten und die übrigen Mitglieder dies ablehnten.
Eine für Freitag geplante Abstimmung wurde bereits zweimal verschoben, aus Angst, Moskau könnte zum zwölften Mal von seinem Vetorecht im Zusammenhang mit Syrien Gebrauch machen. Aber auch im Falle einer Einigung steht zu befürchten, dass die UN-Resolution, wie die meisten Waffenstillstandsabkommen zuvor, nicht eingehalten wird. Das Regime macht auch keinen Hehl daraus, dass sein Ziel darin besteht, jede Handbreit Syriens militärisch zurückzuerobern.
Dass die Welt nicht dazu verdammt ist, tatenlos zuzusehen, zeigt ein militärischer Zwischenfall in der öl- und gasreichen ostsyrischen Provinz Deir al-Sur vor etwa zwei Wochen. Beim Vorrücken regimetreuer Truppen auf eine Position der mit den USA verbündeten kurdischen Kämpfer der Demokratischen Kräfte Syriens, sollen bei Luftschlägen der US-Luftwaffe mindestens 200 Angreifer getötet worden sein, darunter dutzende Russen. Wenn es um wichtige eigene Interessen geht, dann schrecken die USA also vor einer Eskalation mit Russland nicht zurück. Die Bevölkerung von Ost-Ghuta zu beschützen, gehört wohl leider nicht dazu.