Es sind Tage und Bilder, die in die polnische Geschichte eingehen werden. Ergreifende und erschreckende zugleich.
- Einerseits Demonstranten, die vor den Gerichtsgebäuden in ihren Städten Kerzen anzünden, als hielten sie den Rechtsstaat bereits für tot. Und die auf den Sitz des Obersten Gerichtshofs die Inschrift projizieren: "Das ist unser Gericht".
- Abgeordnete der Opposition, die bei der Sitzung des parlamentarischen Rechtsausschusses aufstehen und die Nationalhymne "Noch ist Polen nicht verloren" singen. Und im Plenum laut "Unabhängige Gerichte!" skandieren.
- Staatspräsident Andrzej Duda, der zum ersten Mal seine eigene Partei zur Mäßigung aufruft und auf die Opposition zugeht.
Hässliche Bilder
Andererseits werden aus diesen Tagen auch hässliche Bilder in Erinnerung bleiben:
- Der national-konservative Chef der alleinregierenden Partei, Jaroslaw Kaczynski, der im Sejm unter Umgehung aller Regeln einfach ans Rednerpult stürmt und die Opposition als "Mörder meines Bruders", "Verräterische Fressen" und "Kanaillen" beschimpft.
- Tumulte und Handgreiflichkeiten, die es so im polnischen Parlament in der jüngeren Geschichte nicht gab. Barrieren und Absperrungen, die den Sejm zu einer Festung machen.
- Die Polizei in Alarmbereitschaft. Spannung ohne Ende. Hass und Verachtung überall. Ein Land im Ausnahmezustand.
Gemäßigte Anhänger verschreckt
Dennoch haben die Bilder etwas Befreiendes an sich. Viele gemäßigte Wähler der Kaczynski-Partei haben sich regelrecht erschrocken: Der hasserfüllte Wutausbruch des Parteichefs hat den eigentlichen Machthaber demaskiert. Es liegt die Vermutung nahe, dass es ihm im Grunde genommen um Rache geht. Die Verarbeitung eines persönlichen Traumas. Das Abreagieren menschlicher Kränkungen mit politischen Mitteln. Braucht Kaczynski allen Ernstes willfährige Gerichte, um Donald Tusk und die übrigen "Kanaillen", die er für den Tod seines Bruders verantwortlich macht, bestrafen zu können?
Der nächtliche Auftritt Kaczynskis im Sejm dürfte der Anfang von seinem politischen Ende sein. Es war ohnehin klar, dass dies längerfristig kommen würde: Die Polen, die ihre Freiheit im 20. Jahrhundert gegen zwei totalitäre Mächte von außen erfolgreich verteidigt haben, werden sich diese Freiheit auch nicht von innen nehmen lassen. Die Abkehr von der derzeitigen Regierungspolitik ist deswegen nur eine Frage der Zeit - und der Kosten.
Und die Kosten können immens sein. Sollte die EU-Kommission tatsächlich ihre Drohung wahr machen und den Artikel 7 des EU-Vertrages aktivieren, wäre der Image-Schaden immens - auch wenn Kaczynskis Verbündeter Viktor Orbàn mit seinem Veto die schlimmste Strafe, den Stimmentzug im EU-Rat, wohl abwenden dürfte. Kostspielig wäre dagegen vor allem ein Vertragsverletzungsverfahren. Darüber entscheiden nicht die Regierungen der EU-Mitglieder, sondern die EU-Kommission und der Europäische Gerichtshof, der auch finanzielle Strafen verhängen kann. Käme dazu noch zum Beispiel eine Kürzung der Agrarsubventionen - den Zorn der polnischen Bauern würde Kaczynski politisch nicht überleben.
Wer Wind sät, wird Sturm ernten
Unbezahlbar jedoch sind die Gesundheit und das Leben jedes einzelnen polnischen Bürgers. Angesichts des konfrontativen und kompromisslosen Stils der Politik Kaczynskis sowie der vergifteten, hasserfüllten Atmosphäre im Land braucht es nur einen Funken, und die Situation könnte eskalieren. "Wer Wind sät, wird Sturm ernten", heißt es nicht umsonst schon im Alten Testament. Und Polen hat bereits genug Opfer für die Freiheit gebracht. Es hat verdient, endlich auf Dauer in Frieden und Freiheit zu leben.
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