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Politik

Vorgeschmack auf Orbáns Ende?

Porträt eines lächelnden Mannes mit Brille und blonden Locken
Keno Verseck
18. Dezember 2018

Das arbeitnehmerfeindliche "Sklavengesetz" treibt die Ungarn seit Tagen zu Tausenden auf die Straße. Vor allem die wüsten Reaktionen aus dem Regierungsapparat irritieren sehr, meint Keno Verseck.

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Ungarn Proteste gegen das "Sklavengesetzt" in Budapest
Bild: Reuters/B. Szabo

Über Ungarns Premier Viktor Orbán heißt es, er habe ein brillantes Themengespür, gepaart mit einem außergewöhnlichen Machtinstinkt. Tatsächlich lassen sich dafür in den zurückliegenden Jahren eine Menge Belege finden. Der bekannteste ist Orbáns Instrumentalisierung der Flüchtlingskrise. Sein Umgang mit dem Thema hat ihm in Ungarn eine Rekordzustimmung eingebracht und ihn in Europa zu einem nicht zu unterschätzenden Einflussfaktor gemacht.

Doch angesichts der Reaktionen der ungarischen Regierung auf die derzeitige Protestwelle in ihrem Land muss man an Orbáns Instinkt zweifeln. Tausende Menschen demonstrieren derzeit täglich gegen das arbeitnehmerfeindliche "Sklavengesetz", mit dem die Anzahl möglicher Überstunden stark erhöht wird, wie auch gegen andere antidemokratische Gesetze und Praktiken im Land. Zwar hat sich der ungarische Premier selbst bisher noch nicht zu den Demonstrationen geäußert.

Wüstes Eindreschen auf alle Gegner

Dafür dreschen seine engsten Mitarbeiter und Freunde wie auch die ihm ergebenen Medien umso wüster auf alle ein, die derzeit auf die Straße gehen oder die Proteste in irgendeiner Form unterstützen. Am Werk seien "Provokateure", "Agenten des Soros-Netzwerkes", "ausländische Straftäter", "Migrantenfreunde", eine "aggressive Minderheit" oder "Hasser von Christentum und Weihnachten". Es sind Attribute, die Orbáns Billigung haben dürften, denn in Ungarn geschieht nichts auch nur halbwegs Bedeutendes ohne seine Zustimmung. Und schon gar nicht äußern sich Personen aus seinem engeren Umfeld ohne sicher zu sein, dass sie seine Linie vertreten.

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Keno Verseck arbeitet als Korrespondent für Südosteuropa

Die Art und Weise, in der das Orbán-Regime Kritik etikettiert, hat bisher nur dazu beigetragen, die Proteste anzuheizen. Man kann es atemberaubend nennen, dass die ungarische Regierung sich bei ihren Vorwürfen an Absurdität selbst überbietet. Doch eigentlich liegt das nur in der Logik von Orbáns System. Und daraus folgt das eigentlich Beunruhigende.

In der Rhetorik von Orbán - das kann man als aufmerksamer Beobachter verfolgen - geht es immer weniger um einen demokratischen Wettbewerb, der das Gemeinwohl und ein verantwortungsvolles, nachhaltiges Regieren im Blick hat. Stattdessen steht immer stärker der angebliche Kampf auf Leben und Tod, um Krieg und Frieden, um Gut und Böse, um Licht und Schatten im Vordergrund. Dabei ist auch die Form langsam zum Inhalt geworden. Ungarns Premier hat die Kontrollmechanismen der Macht Stück für Stück abgeschafft oder in ihrer Funktionsweise zumindest stark eingeschränkt. Der Philosoph Gáspár Miklós Tamás hat als einer der ersten schon vor längerer Zeit vorhergesagt, dass Orbán seine Macht nicht mehr freiwillig abgeben werde. Inzwischen glauben auch viele Ungarn, dass Orbán nicht mehr einfach so abwählbar ist, sondern dass sein Regime nur mit Gewalt beendet werden kann.

Auch unter Demonstranten mehren sich radikale Stimmen

Anzeichen dafür kann man in diesen Tagen beobachten. Im ungarischen Parlament kam es vergangene Woche zu chaotischen Szenen, wie sie 2018 bisher kein anderes EU-Parlament erlebte - Pfeifkonzerte, Besetzung der Präsidiumstribüne durch Abgeordnete, der Aufmarsch von Ordnungskräften im Sitzungssaal und der Auszug der Opposition unter Protest. Auch bei den Demonstrationen mehren sich radikale Stimmen.

Es gibt praktisch keine Hoffnung, dass Orbán in seinem extrem konfrontativen Regierungsstil innehält. Traurig für Ungarn und seine Menschen: Das Land, das vor drei Jahrzehnten einmal der Vorreiter einer demokratischen Entwicklung im Osten Europas war, sieht einer düsteren Zukunft entgegen.

Porträt eines lächelnden Mannes mit Brille und blonden Locken
Keno Verseck Redakteur, Autor, Reporter