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Revolution der Würde in der Ukraine

Bernd Johann21. November 2014

Die Ukrainer haben ein autokratisches Regime besiegt. Sie wählten Demokratie und wollen den Rechtsstaat. Doch der Aufbruch kann scheitern - an den Oligarchen im eigenen Land und an Moskau, meint Bernd Johann.

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Junge Demonstranten in Kiew im Jahr 2013 (Foto: AFP/Getty Images)
Bild: Genya Savilov/AFP/Getty Images

1989 war ein Jahr der Wende für Europa. In Deutschland fiel die Berliner Mauer. Und mutige Bürger von Tallinn über Warschau bis nach Bukarest und Sofia befreiten sich von sowjetischer Bevormundung. 25 Jahre später kämpfen in Europa immer noch Menschen für Freiheit und Demokratie. Auf dem Euromaidan in der Ukraine begehrten vor genau einem Jahr Menschen auf gegen eine autoritäre und korrupte Herrschaft. Ihr Ziel: eine neue Ukraine mit Rechtsstaat und Demokratie. Die Länder der Europäischen Union dienten vielen Demonstranten als Vorbild.

Monatelang harrten Hunderttausende Bürger auf dem Platz der Unabhängigkeit in Kiew und in anderen ukrainischen Städten aus. Sie trotzten der Winterkälte und immer brutalerer staatlicher Gewalt. Am Ende gelang die Wende. Die Machthaber kapitulierten und flohen nach Russland, das das Regime unterstützte und die Proteste bis heute als Staatsstreich verurteilt.

Seitdem sieht der Kreml seinen Einfluss in der Ukraine schwinden und hält die Entwicklung für eine Bedrohung der eigenen Macht. Die Menschen in der Ukraine aber nennen es ihre "Revolution der Würde", weil sie sich nicht länger von einem autokratischen System demütigen und bestehlen lassen wollten. Doch dieser Kampf ist noch lange nicht gewonnen.

Massenbewegung gegen ein gewalttätiges Regime

Ausgelöst hatte die Proteste der damalige Präsident Viktor Janukowitsch. Auch auf Druck Russlands stoppte er am 21. November 2013 überraschend die geplante Assoziierung der Ukraine mit der EU. Dabei hatte auch seine Regierung darüber lange verhandelt. "Wir gehen auf den Maidan, wer kommt mit?", posteten enttäuschte Menschen in sozialen Netzwerken.

Porträt von Bernd Johann, Leiter der Ukrainisch-Redaktion (Foto: DW)
Bernd Johann leitet die Ukrainische Redaktion der DWBild: DW/P. Henriksen

Schnell entstand daraus eine Massenbewegung quer durch alle gesellschaftlichen Gruppen, die umso stärker wurde, je exzessiver das Regime mit Unterdrückung und Gewalt reagierte. Auch nationalistische und extremistische Gruppen waren an den Protesten beteiligt. Doch bei den nachfolgenden Wahlen des Präsidenten und Parlaments siegten die demokratischen und reformorientierten Kräfte mit überwältigender Mehrheit. Die Ukrainer erteilten so dem Radikalismus - auch dem antirussischen - eine Absage. Und das mitten in einem Krieg der Waffen und Propaganda, den ihnen Russland inzwischen aufgezwungen hatte.

Die Oligarchen ziehen weiter ihre Strippen

Eindrucksvoll nutzten Ukrainer ihr Recht auf Selbstbestimmung. Doch die "Revolution der Würde" ist nicht zu Ende. Die Wahlen haben den Machtwechsel demokratisch legitimiert. Aber die Forderungen aus der Mitte der Gesellschaft sind keineswegs erfüllt. Die eigentliche starke Kraft in der Ukraine sind nach wie vor die Oligarchen, schwerreiche Unternehmer, die das Land seit Jahren kontrollieren. Auch im neuen Parlament sind sie wieder vertreten. Sogar umstrittene Politiker aus der Janukowitsch-Zeit, die mit drakonischen Gesetzen noch vor ein paar Monaten der Demokratiebewegung die Luft abschnüren wollten, sind weiter aktiv.

Und trotzdem gibt es Hoffnung. Sie richtet sich insbesondere auf die Vertreter aus den Reihen des Euromaidan. Vielen von ihnen gelang der Einzug ins Parlament. Sie könnten frischen Wind in die Politik bringen. Gemeinsam mit den alten Kräften müssen sie nun dafür sorgen, dass die erhofften Reformen auf den Weg kommen.

Der Kampf um Würde ist noch nicht gewonnen

Dabei geht es um die Unabhängigkeit der Justiz, demokratische Kontrolle der bislang so allmächtigen Miliz und das Ende der Korruption. Auch muss verhindert werden, dass sich politische Eliten wie in der Vergangenheit erneut schamlos bereichern. Erst dann sind zentrale Forderungen des Euromaidan erfüllt. Erst dann werden die Menschen in der Ukraine tatsächlich in Würde leben und ihre "Revolution der Würde" als Erfolg feiern können.

Die größte Gefahr für die Ukraine droht aber weiterhin aus Russland. Mit aller Macht versucht der Kreml zu verhindern, dass eine freie Ukraine entsteht. Die Annexion der Krim und der Krieg im Donbass destabilisieren das Land politisch, wirtschaftlich und militärisch. Zu Recht halten die Ukrainer das russische Vorgehen gegen ihr Land für eine Aggression. 25 Jahre nach dem Ende der sowjetischen Unterdrückung Osteuropas kämpft erneut in Europa ein Volk um Selbstbestimmung. Es geht dabei nicht nur um Einflusszonen, sondern auch um die Würde von Menschen.