1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Hoffen auf die Generation Maidan

Roman Goncharenko25. Oktober 2014

Die ukrainische Politik braucht neue Gesichter. Das war eine der Kernforderungen der oppositionellen Bewegung im vergangenen Winter. Bei der Parlamentswahl treten gleich mehrere neue Parteien an.

https://p.dw.com/p/1DcBf
Wahlplakate in Kiew, Ukraine (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

Kateryna Hyschnjak dreht ihr Gesicht immer wieder zu Sonne. Die Frau Anfang 40, mittellanges blond gefärbtes Haar, Brille, Daunenjacke, freut sich über die Wärme. In den letzten Oktobertagen ist es winterlich in Kiew. Tagsüber klettert die Temperatur nur knapp über Null, nachts gibt es Frost. In diesem Jahr trifft es die ukrainische Hauptstadt besonders hart. Die Heizkörper in der Hälfte der Wohnungen sind auch am Tag vor der vorgezogenen Parlamentswahl an diesem Sonntag immer noch kalt. Es ist eine Folge des Gasstreits mit Russland und der schweren wirtschaftlichen Krise, in der sich die Ukraine seit rund einem Jahr befindet.

Hyschnjak verkauft Kissen auf dem Maidan Nesaleschnosti, dem Unabhängigkeitsplatz. Sie sind blau-gelb, wie die ukrainische Flagge. Ein Kissen kostet umgerechnet zwölf Euro. "Ich habe sie selbst gemacht, deshalb sind sie so teuer", sagt Hyschnjak verlegen. Man merkt, dass sie das zum ersten Mal macht. Vom Erlös wolle sie warme Kleidung für Soldaten kaufen, die in der Ostukraine gegen prorussische Separatisten kämpfen. "Ich diene selbst in der Armee, in einem Fernmeldestützpunkt bei Kiew, und weiß, wie schlecht unsere Jungs gekleidet sind", erzählt die Frau.

Kateryna Hyschnjak (Foto: Roman Goncharenko)
Nähen, um warme Kleidung für Soldaten zu kaufen: Kateryna HyschnjakBild: Roman Goncharenko

Kinder der "Revolution der Würde"

Vielleicht ist das ein Grund, warum Kateryna Hyschnjak am Wahlsonntag nicht für eine der Regierungsparteien stimmen will. Ihre Hoffnungen verbindet sie mit einem politischen Neuling: "Ich werde 'Samopomytsch' wählen".

'Samopomytsch' (Selbsthilfe) ist eine Partei des Bürgermeisters Andrij Sadowy aus dem westukrainischen Lemberg. Sie tritt bei dieser Parlamentswahl zum ersten Mal an. Laut jüngsten Meinungsumfragen hat sie gute Chancen, den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde zu schaffen. Die meisten Parteimitglieder sind junge Männer und Frauen aus der Westukraine. Viele von ihnen waren von Anfang an bei der oppositionellen Maidan-Bewegung aktiv, die vor rund einem Jahr begonnen und zu dem Machtwechsel in Kiew geführt hatte. "Ich habe diese Leute aus der Westukraine hier auf dem Maidan erlebt", sagt Hyschnjak. "Es sind Patrioten".

Parteien wie 'Samopomytsch' sind Kinder der "Revolution der Würde", wie die Ereignisse des Winters 2013/2014 in der Ukraine inzwischen genannt werden. Sie sind neu und haben allein deshalb einen guten Ruf. Diese Parteien bestehen meist aus Menschen zwischen 25 und 40 Jahren, also jener Generation, die nach dem Zerfall der Sowjetunion in der unabhängigen Ukraine Karriere gemacht hat. Sie wollen die Ukraine in der Europäischen Union und in der NATO sehen.

Es sind Menschen aus der städtischen Mittelschicht, die bisher als Teil der Zivilgesellschaft aktiv waren, und nun den Schritt in die Politik wagen. Es sind Menschen wie Natalia Sokolenko. Die 39-jährige ehemalige Fernsehreporterin tritt bei der Parlamentswahl für das Bündnis aus zwei jungen Parteien: 'Hromadjanska Posizija' (Bürgerliche Haltung) und 'Demokratische Allianz'. Beide waren noch nie im Parlament vertreten.

Natalia Sokolenko (Foto: DW/O. Sawizki )
Wagt den Schritt in die Politik: Natalia Sokolenko beim WahlkampfBild: DW/O. Sawizki

Ukrainische Christdemokraten

Sokolenko, schlank, langes braunes Haar, sitzt in einem Café in einem Kiewer Vorort. Sie wirkt müde und doch nicht kraftlos, lächelt immer wieder. In den vergangenen Wochen tourte sie mit Parteikollegen quer durch die Ukraine und machte Wahlkampf. Jetzt kann sie nur noch auf das Ergebnis warten. Ihre Partei liegt in Umfragen knapp an der Grenze zu fünf Prozent.

Die junge Politikerin selbst vertritt die Demokratische Allianz. "Wir sind Christdemokraten, wie bei Angela Merkel, nur in der Ukraine", sagt Sokolenko und lacht. "Für uns steht der Mensch in der Mitte, die Familie, die christlichen Werte, und wir sind für die Marktwirtschaft".

Bei diesem Wahlkampf verzichtete ihre Partei als eine der wenigen komplett auf teure Fernsehwerbung. "Wie wollten damit zeigen, dass wir wirklich unabhängig sind und keinem Milliardär etwas schulden", erklärt Sokolenko. In der Ukraine haben viele Parteien den Ruf, Instrumente von Oligarchen, schwerreichen Geschäftsleuten zu sein. 'Hromadjanska Posizija' und 'Demokratische Allianz' wollen anders sein. Korruption sei das größte Übel, das Sokolenko als Politikerin bekämpfen möchte.

Juniorpartner für Poroschenko

Sollten sie wirklich den Sprung in das neue Parlament schaffen, will Sokolenko und ihre Partei mit dem Präsidenten Petro Poroschenko koalieren. Sein Bündnis liegt in Umfragen vorn und dürfte rund ein Drittel der Stimmen bekommen.

Doch nicht alles, was Poroschenko als Präsident tut, findet Sokolenko richtig. "Das Gesetz, das Separatisten in der Ostukraine Autonomie gibt, ist falsch", sagt sie. "Man soll Teile der Ostukraine zu besetzten Gebieten erklären - so wie die Krim", sagt Sokolenko. Sie möchte, dass die Regierung in Kiew hart gegen Separatisten vorgehe. Diesen Wunsch haben in der Ukraine viele. Auch Kateryna Hyschnjak, die blau-gelbe Kissen auf dem Maidan verkauft.