"Démission de courtoisie", auf Deutsch der "Rücktritt aus Höflichkeit" ist die Bezeichnung für das, was üblicherweise nach einer Parlamentswahl in Frankreich passiert. Der Premier zieht seine Regierung zurück und schickt sie dann - manchmal mit leichten Änderungen - erneut ins Rennen. Eine Formalität, um eventuelle neue Erkenntnisse aus der Wahl einzupreisen. So sollte es auch dieses Mal sein. Aber mit Höflichkeit hat das, was in Frankreich gerade passiert, nicht viel zu tun. Es geht um Glaubwürdigkeit.
Vier Minister haben das Kabinett verlassen (müssen), darunter alle drei des sozial-liberalen "Mouvement Démocrate" (MoDem) unter der Führung des zentristischen Polit-Urgesteins François Bayrou. Er selbst wollte es als Justizminister nochmal wissen, hatte schon ein Gesetz angekündigt zur "sittlichen Besserung des politischen Lebens" oder - weniger pompös - ein Anti-Korruptionsgesetz. Damit lag er genau auf der Linie des jungen Präsidenten, der angekündigt hatte, aufräumen zu wollen mit der schamlosen Entfremdung von Steuergeldern und dem Ausnutzen von Machtpositionen, um sich selbst oder nahe Familienangehörige zu bereichern.
Extreme lauern auf Fehltritte
Dumm nur, dass Bayrous gesamte Partei nun ins Visier von Ermittlungen geraten ist. Sie soll EU-Gelder veruntreut haben, um damit Parteiangelegenheiten zu finanzieren. Eigentlich muss beides strikt getrennt bleiben. In früheren Regierungen wäre das vermutlich als Lappalie abgetan worden. Im Vergleich zu dem, was sich der konservative Präsidentschaftskandidat François Fillon geleistet hatte, der seiner Frau wohl bis zu einer Million Euro für bisher nicht nachweisbare Tätigkeiten zukommen ließ, ist es das wohl auch. Aber Emmanuel Macron ist mit dem Versprechen angetreten, den ganzen Filz auskehren zu wollen und daran muss er sich nun auch messen lassen.
So ist es nur logisch, dass der junge Präsident, der sein Kabinett an sehr kurzer Leine führt, jetzt durchgreift. Eigentlich kann er nicht anders. Die extrem niedrige Wahlbeteiligung bei den Parlamentswahlen zeigt, dass der politische Überdruss vieler Franzosen nicht eben über Nacht verschwunden ist. Im Gegenteil, ganz rechts und ganz links lauern Front National und France Insoumise nur auf die ersten Fehltritte der Regierung, um das radikale Potenzial der französischen Wählerschaft wieder voll auszuschöpfen. Wollte Macron also nicht schon am Anfang in den gleichen elitären Korruptionssumpf geraten wie seine Vorgänger, musste er durchgreifen.
Unschön ist die Situation trotzdem für den Präsidenten. Erstens sieht es nie gut aus, wenn die Verfilzungen einzelner Minister erst auf den Tisch kommen, wenn sie einmal im Amt sind. Man fragt sich: Ist eine gründlichere Überprüfung potenzieller Probleme vor der Berufung ins Kabinett wirklich so schwierig? Zweitens gehen Macron langsam die Optionen für erfahrene und "saubere" Minister aus. Vom MoDem ist wohl nichts mehr zu erwarten, da nun selbst ihr Chef gehen musste. Dem Präsidenten ist also de facto der Koalitionspartner abhanden gekommen. Er muss die Lücken nun aus den eigenen Reihen schließen. Da dort über die Hälfte des Personals politische Newcomer sind, wird das nicht einfach. Damit löst Macron zwar sein Erneuerungsversprechen ein, gleichzeitig ist die Kompetenzdecke aber recht dünn.
Koalition kaputt, Glaubwürdigkeit gerettet
Der Präsident selbst dürfte sich in den vergangenen Tagen darüber geärgert haben, überhaupt eine Allianz mit MoDem eingegangen zu sein. Die Mehrheit in der Nationalversammlung hat er auch ohne Bayrou und Co. erlangt. Sie wäre wohl noch größer ausgefallen, hätte seine Partei "La République En Marche" nicht zugunsten des Partners auf Kandidaturen verzichtet. Aber vor wenigen Wochen dachte Emmanuel Macron wohl noch, er sei mit seiner blutjungen Partei auf ein Bündnis mit den Sozial-Liberalen angewiesen. Andererseits: lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Die Zusammenarbeit wäre wohl ohnehin nicht einfach gewesen. Jetzt hat Macron noch freiere Hand, auch wenn die Mehrheit durch den Wegfall des Partners geschrumpft ist. Aber für den Präsidenten muss gelten: besser eine kleine Mehrheit als keine Glaubwürdigkeit.
Sie können unterhalb dieses Artikels einen Kommentar abgeben. Wir freuen uns auf Ihre Meinungsäußerung!