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Im Zweifel für die Ermittler

Bernd Riegert, Brüssel16. Januar 2015

In Belgien wurde Terror vereitelt, in Frankreich leider nicht. Die Gefahr ist real, deshalb brauchen die Ermittler die richtigen Werkzeuge. Datenschutz muss da zurücktreten, auch wenn es schmerzt, meint Bernd Riegert.

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Terrorprozess in Belgien Brüssel Michael Delefortrie Dimitri Bontinck
Bild: DW/Georg Matthes

Belgien hat geplante Terroranschläge durch eine großangelegte Razzia gegen ein Terroristennetzwerk in Verviers und Brüssel offenbar vereiteln können. In dem Land, in dem sonst ab und an mal eine Auge zugedrückt wird und wegen der komplexen Verwaltungsstrukturen gerne ein wenig Chaos herrscht, funktionieren Polizei und Geheimdienste bei wirklicher Bedrohung so wie sie sollen. Sie schützen ihre Bürger. Das war allerdings nicht immer so. Erst nach dem schlimmen Anschlag auf das jüdische Museum im vergangenen Mai in Brüssel haben die belgischen Polizeibehörden und Ermittler dazu gelernt. Präventives Eingreifen ist jetzt die Devise. Im September hatten die belgische Polizisten bereits einen geplanten Anschlag auf die EU-Kommission in Brüssel rechtzeitig aufdecken und verhindern können.

Überwachung ist nötig

Wie genau die Polizei den möglichen Attentätern auf die Schliche gekommen ist, wird aus ermittlungstaktischen Gründen natürlich nicht verraten. Eine entscheidende Rolle spielt aber wohl die Überwachung des Telefonverkehrs innerhalb der Terrorzelle. Den Terroristen, die mobil per Smartphone und verschlüsselt im Internet kommunizieren, muss die Polizei mit intelligenter Abhör- und Auswertetechnik begegnen. Verbrechensbekämpfung geht vor, Sorgen über den Datenschutz kann man sich dann später immer noch machen. Belgien hat ein relativ weit reichendes Gesetz zur Aufzeichnung von Telefon- und Kommunikationsdaten. Deutschland hat keine Regelung. Die EU-Kommission muss eine neue bessere Richtlinie vorlegen, nachdem der Europäische Gerichtshof das alte Gesetz gekippt hatte. Es wird höchste Zeit, dass auf diesem Feld, das so wichtig für die Terrorabwehr ist, schnell und klar gehandelt wird.

Die Bedrohung durch islamistische Extremisten und zurückkehrende Dschihadisten ist furchtbar real, sie ist nah und sie hat scheußliche Folgen, wie uns die Anschläge von Paris gezeigt haben. Darum sollte in Europa jetzt niemand mehr zögern, wenn es darum geht, die Sicherheitsbehörden mit den Daten und Werkzeugen auszustatten, die sie brauchen, um Terroristen rechtzeitig stellen zu können. Das gilt übrigens auch für die Passagiergastdaten, die in der EU immer noch nicht zentral gespeichert und ausgewertet werden. Bei Reisen nach den USA oder Australien ist es völlig normal, seine Daten zu melden. In Europa soll das nicht gehen?

Deutsche Welle Bernd Riegert, Foto: DW
Europa-Korrespondent Bernd Riegert

Chancen nutzen, die man hat

Natürlich werden Reisen von möglichen Terroristen dadurch nicht völlig verhindert, aber man muss es radikalisierten jungen Menschen aus Europa so schwer wie möglich machen, in ihre Ausbildungscamps zu reisen. Die beiden Kouachi-Brüder, die in Paris "Charlie Hebdo" attackierten, standen auf der Flugverbotsliste der USA. Eine Einreise in die USA war ihnen so unmöglich. In Europa allerdings konnten sie ungehindert fliegen. Das ist absurd. Die Sicherheitsbehörden brauchen in Frankreich, aber wohl auch in Deutschland und anderen Staaten, mehr Personal, um all die Gefährder und potenziellen Attentäter aufzuspüren und zu überwachen. Es ist geradezu skandalös, dass die französische Polizei die Überwachung der Mord-Brüder wenige Monate vor dem Anschlag einstellen musste, weil es für das rare Personal andere Prioritäten, nämlich noch gefährlichere Islamisten gab. Wir brauchen besseren Strafvollzug mit einer Isolierung der Islamisten, um die Radikalisierungsmaschine Gefängnis anzuhalten. Gewiss, diese Forderungen werden nach fast jedem größeren Anschlag erhoben. Deshalb sind sie aber noch nicht falsch. Sie wurden nur immer noch nicht erfüllt.

In diesem Zusammenhang muss auch einmal eine Lanze für die amerikanischen Dienste, wie die NSA, gebrochen werden. Durch ihre oft kritisierte Hyper-Überwachung verfügen die Amerikaner über wertvolle Erkenntnisse über die weltweite Terrorszene, die auch die europäischen Geheimdienste nur zu gerne aufsaugen und auswerten. Ohne die USA, so hat es ein führender Geheimdienstler formuliert, wären wir, was den Nahen und Mittleren Osten angeht, taub und blind. Ja, Datenschutz und das Recht auf Privatheit sind auch wichtig, aber müssen wir nicht gewisse Abstriche in Kauf nehmen, wenn es darum geht, uns alle vor Terror zu schützen? Selbstredend wird man durch bessere Ausforschung der Terror-Szene nicht jeden Anschlag verhindern können, aber das kann kein Argument dafür sein, es nicht wenigstens zu versuchen.

Radikaliserte Monster, wie den Attentäter, der ohne Skrupel Menschen in einem jüdischen Supermarkt und ohne Vorwarnung eine Polizistin erschoss, kann man nur schwer stoppen. Aber auch dieser Mann war kein absolut "einsamer Wolf". Er gehörte einem Netzwerk an, seine Freundin war seine Komplizin. Er hat sich seine Waffen in Belgien besorgt. Auch er muss kommuniziert haben, Spuren hinterlassen haben. Die französischen Behörden haben ihnen nicht rechtzeitig gefunden. Warum nicht?