EU diskutiert über Sicherheit
12. Januar 2015Ob nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA, 2004 in Madrid, 2005 in London oder 2014 auf das Jüdische Museum in Brüssel, jedes Mal gab es den Ruf nach strikteren Sicherheitsgesetzen. Eine der wichtigsten Forderungen dabei war und ist die routinemäßige Erfassung, Auswertung und Speicherung von persönlichen Daten, seien es Telekommunikations-, Bank- oder Fluggastdaten. Die USA erhalten zum Beispiel bereits bei transatlantischen Flügen die Daten aller Flugpassagiere aus EU-Ländern, darunter Name, Adresse und Kreditkartennummer.
Die meisten europäischen Innenminister würden ein Fluggastdatensystem gern auch für innereuropäische Flüge einführen. Aber das Europaparlament hat das bisher wegen Datenschutzbedenken verhindert. Deutschlands Innenminister Thomas de Maizière (CDU) hat nach den Attentaten von Paris kein Verständnis mehr für den Widerstand. Nach dem Treffen am Sonntag in Paris sagte er: "Wer jetzt ein europäisches Fluggastdatenabkommen ablehnt, weiß nicht, was die Stunde geschlagen hat."
Anschläge trotz Überwachung
Doch Kritiker machen geltend, dass die französischen Behörden alle relevanten Informationen über die Attentäter gehabt, die Anschläge aber nicht verhindert hätten. Liberale und Grüne im Europaparlament beklagen auch, die Mitgliedsstaaten benutzten die Anschläge von Paris nun, um zu versuchen, schärfere Gesetze durchzusetzen, die unter normalen Umständen keine Chance gehabt hätten.
Der deutsche Grünen-Europaabgeordnete und Datenschutzexperte Jan-Philipp Albrecht bezweifelt generell, dass "die anlasslose Massenüberwachung das geeignete Mittel ist, um solche Taten zu verhindern", sagte der Politiker der Nachrichtenagentur AFP. Durchaus sinnvoll findet Albrecht aber eine bessere Zusammenarbeit der Polizei- und Justizbehörden der EU-Staaten.
Pawlowscher Reflex
Ähnlich sehen es die Liberalen im Straßburger Parlament. Fraktionschef Guy Verhofstadt schreibt auf der Website der Fraktion, der Ruf nach noch mehr Datenerfassung sei "ein Pawlowscher Reflex" der Mitgliedsstaaten. Ein besserer Informationsaustausch sei dagegen "seit Langem überfällig". Während mehr und mehr Informationen von Bürgern gesammelt würden, hinke der Austausch der Informationen hinterher. "Wir müssen unsere Freiheit gegen Terroristen verteidigen, die sie zerstören wollen", so der Belgier, "aber wir müssen die Freiheit auch gegen eine Aushöhlung von innen verteidigen". Sophie in't Veld, die in der Liberalenfraktion für das Thema Fluggastdaten zuständig ist, fordert: "Keine neuen Befugnisse ohne neue Datenschutzmaßnahmen."
Der Widerstand im Parlament mag überwiegen, doch einhellig ist er nicht. Die deutsche CSU-Europaabgeordnete Monika Hohlmeier klagte im WDR: "In Europa können wir nicht überprüfen, welche Routen Attentäter oder Schwerstverbrecher nehmen." Datenschutz dürfe sich nicht zum Schutz von Kriminellen entwickeln. "Wir müssen den Strafverfolgungsbehörden legale Methoden geben, entsprechend schwere Verbrechen verhindern oder später aufklären zu können."
Kontrollen im Schengenraum?
Eine besondere Gefahr stellen gewaltbereite Syrien- und Irak-Heimkehrer dar. Schätzungen der europäischen Polizeibehörde Europol gehen von rund 3000 EU-Bürgern aus, die für die Miliz "Islamischer Staat" kämpfen beziehungsweise gekämpft haben. Die Sorge ist, dass sie nach ihrer Rückkehr Anschläge in Europa verüben. Die Geheimdienste haben sie besonders im Blick. Bereits heute können Polizei und Grenzschutz der Mitgliedsländer auf das EU-weite "Schengen-Informationssystem" zugreifen, mögliche Dschihadisten ausfindig machen und eventuell an ihrer Reise nach Syrien oder in den Irak hindern. Die Innenminister wollen, dass in diesem Informationssystem künftig immer festgehalten wird, wenn ein mutmaßlicher Islamist mit einer EU-Staatsbürgerschaft aus einem Land wie Syrien zurück nach Europa reist. Auch die Zusammenarbeit mit Transitländern wie der Türkei soll verbessert werden.
Der spanische Innenminister Jorge Fernández Díaz will aber auch innerhalb des grenzkontrollfreien Schengenraums bestimmte Kontrollen wieder einführen. Fernández Díaz bezeichnete es in der spanischen Tageszeitung "El País" als Problem, dass sich Hunderte militante Islamisten frei im Schengen-System bewegen könnten. Einige Regelungen des Schengener Abkommens müssten eventuell geändert werden, doch "das Recht auf Freizügigkeit würde dadurch nicht beeinträchtigt".
Es ist ein alter Gegensatz, der Schutz persönlicher Daten gegen Sicherheit. Mal hat die eine Seite in der politisch-gesellschaftlichen Debatte die Oberhand, mal die andere. Im Moment haben es die Datenschützer schwer, sich gegen die Sicherheitspolitiker durchzusetzen.