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Terroristen, Freiheitskämpfer und Selbstverteidiger

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp
17. Oktober 2015

Die Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern nimmt wieder einmal zu. Wer trägt dafür die Verantwortung? Der Streit beginnt bereits mit der Sprache und den Begriffen, meint Kersten Knipp.

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Ein Palästinenser stellt sich in Hebron Soldaten entgegen, 10.10.2015 (Foto: Reuters)
Bild: Reuters/M. Qawasma

Es gibt Konflikte, deren Deutung schon bei ganz grundlegenden Fragen Schwierigkeiten bereitet. Im Fall des einmal mehr eskalierenden palästinensisch-israelischen Konflikts stellt sich die Frage, als was man die enthemmte Gewalt bezeichnen soll. Ist das Terrorismus? Teile der israelischen Presse sehen es so, zumindest was die Gewalt der einen Seite, der Palästinenser, angeht. Sie haben schlüssige Argumente auf ihrer Seite: Jugendliche zu entführen und zu töten, an Bushaltestellen wartende Passanten mit Autos anzufahren, Siedler und ganz normale Zivilisten mit Messern anzugreifen: Was ist das, wenn nicht Terrorismus?

"Jüdischer Terrorismus" - ein Tabu?

Die Frage ist dann nur, wie man die Taten der anderen Seite beschreibt: Ein Haus anzuzünden, in dem eine palästinensische Familie schläft; einen 16-jährigen Palästinenser zu entführen und zu verbrennen, auf ihren Feldern arbeitende Bauern anzugreifen - um diese Taten zu beschreiben, ringen Teile derselben Presse um Worte. Der anonym bleibende Brigade-General, der in einem längeren Beitrag am Donnerstag dieser Woche in der "Jerusalem Post" die palästinensischen Verbrechen als Terrorismus bezeichnet, findet für die Taten seiner Landsleute oder genauer: für diese selbst, einen anderen Begriff: "extreme Rechte". Auch sonst zeigt er sich verhalten: Von der tödlichen Gewalt, die einige seiner Landsleute praktizieren, mag er nicht einmal reden.

Was also geschieht derzeit in Ostjerusalem und dem Westjordanland? Die Palästinenser haben, wenig überraschend, eine andere Deutung als die Israelis. Auch sie mäkeln an den Begriffen, mit denen einige, vor allem westliche, Journalisten die derzeitigen Auseinandersetzungen zu beschreiben suchen. Die politische Analystin Lamis Andoni etwa stört sich an dem Begriff "Kreislauf der Gewalt". Nein, es handele sich nicht um einen weiteren Kreislauf der Gewalt, wendet sie ein. Das, was sich derzeit ereigne, sei nichts anderes als ein "fortgesetzter Befreiungskampf". Dabei hat sie nicht so sehr das Wirken extremistischer Siedler im Blick, als die fortgesetzte Siedlungspolitik Israels, die sie in erster Linie für die derzeitige Spannungen verantwortlich macht.

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DW-Redakteur Kersten Knipp

Tatsächlich kann man sich fragen, wer angesichts der fortschreitenden Zersiedlung der Westbank eigentlich wen einkreist: Die Israelis die Palästinenser? Oder begeben sich die, die in diesen Siedlungen leben werden, nicht ihrerseits in Flecken, aus denen heraus das palästinensisch bewohnte Umland wie ein gewaltiger Belagerungsring aussehen muss? Fest steht jedenfalls, dass die fortgesetzte Verzahnung von Israelis und Palästinensern dem Friedensprozess nicht gut tut.

Alte Wahrheiten

Doch auch hier tun sich unterschiedliche Sichtweisen auf: Einige Israelis gebrauchen historisch besetzte Begriffe: Die Palästinenser träumten von einer "judenfreien Zone", versichern sie. Davon träumten sie mitnichten, entgegen die Palästinenser. Sie wendeten sich keineswegs gegen Juden, sondern einzig und allein gegen die Art und Weise, auf die diese sich im Westjordanland niederließen. Sie könnten sich nicht erinnern, eine Einladung zum Siedlungsbau ausgesprochen zu haben, erklären sie das wenig freundliche Verhältnis zu ihren neuen Nachbarn.

Immerhin, auf beiden Seiten mehren sich die Stimmen jener, die darauf hinweisen, dass es so nicht weitergehen könne. Mehr desselben führe vor allem zu mehr Toten, warnen sie. Das hat man freilich vor 20 Jahren auch bereits erklärt. Aber manche Wahrheiten werden nicht schal, bloß weil sie in die Jahre gekommen sind.

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Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika