Kommentar: Tickende Zeitbombe BND
5. Juni 2014Vor einem Jahr begannen die Enthüllungen Edward Snowdens über das bis zu diesem Moment kaum vorstellbare Ausmaß der weltweiten Überwachung durch den US-Geheimdienst NSA. Deutschland steht seitdem an vorderster Front im Kampf gegen die Verletzung der Privatsphäre der Bürger.
Im November brachte die Bundesregierung eine Resolution über das "Recht auf Privatsphäre im digitalen Zeitalter" bei den Vereinten Nationen ein. Darin wird der "negative Einfluss" der globalen Überwachung auf die "Ausübung der Menschenrechte" beklagt. Die Staaten müssten ihre Praktiken und ihre Gesetzgebung überprüfen, um eine effektive nationale Kontrolle der Überwachung und der Sammlung von Daten durch die Geheimdienste zu gewährleisten.
Besser informiert über die NSA als über den BND
Dabei steht auch Deutschland in diesem Bereich nicht wirklich gut da. Dank Edward Snowden wissen wir heute mehr über die Arbeit der NSA als über die des deutschen Auslandsgeheimdienstes BND. Doch was über die Überwachungsaktivitäten des BND bekannt ist (unter anderem durch eine neue Studie des Berliner Privacy Project), gibt Anlass zur Sorge.
Der BND hat die Erlaubnis, Datenverkehr aus 196 Ländern zu überwachen, darunter die USA, Frankreich und Großbritannien. Der Datenverkehr wird mit Schlagwörtern gefiltert. Allein 2010 führte diese Methode zu 37 Millionen ausgewählten Nachrichten. Diese wurden dann "manuell behandelt" - also von Geheimdienstmitarbeitern gelesen.
Dafür zapft der deutsche Auslandsgeheimdienst den Datenverkehr im weltgrößten kommerziellen Internetknotenpunkt in Frankfurt an. Ein nicht unerheblicher Teil dieser Daten wird dann mit anderen Geheimdiensten, wie zum Beispiel der NSA, ausgetauscht.
Mangel an gesetzlicher und politischer Aufsicht
Die Kontrolle der Aktivitäten des BND ist sehr schwach. Der Rechtsweg ist grundsätzlich ausgeschlossen und es gibt auch keine fortwährende richterliche Überwachung. Die Kontrolle obliegt einem schlecht ausgestatteten parlamentarischen Gremium und der sogenannten "G10-Kommission". Deren Mitglieder werden vom parlamentarischen Kontrollgremium ausgewählt. Die Kommission muss jede Überwachungsmaßnahme eines deutschen Staatsbürgers durch die Geheimdienste genehmigen. Sie beschäftigt sich allerdings nicht mit der Überwachung von Menschen, die keine deutschen Staatsbürger sind.
Die Rechtfertigung Berlins für die mangelhafte Kontrolle von Maßnahmen gegen Nicht-Deutsche: Der Schutz des deutschen Grundgesetzes erstrecke sich nicht auf Aktivitäten außerhalb des deutschen Staatsgebietes - und auch nicht auf ausländischen Datenverkehr, der durch Deutschland geleitet wird.
Führende Rechtsexperten halten diese Sichtweise für verfassungswidrig. Vor allem weil das Bundesverfassungsgericht geurteilt hat, dass sich deutsche Institutionen bei der Ausübung "von öffentlicher Gewalt" auch im Ausland an das Grundgesetz halten müssen.
Gefahr für den deutschen Ruf
Die Argumentation der Regierung verletzt den Geist der von Deutschland eingebrachten UN-Resolution zum Recht auf Privatsphäre im digitalen Zeitalter. Sie zieht den deutschen Diplomaten, die als effektive und erfolgreiche Anwälte der digitalen Rechte auftreten, zum Beispiel beim NETMundial-Gipfel in São Paulo im April, den Boden unter den Füßen weg.
Deutschlands schwache Kontrolle seiner Geheimdienste und der eklatante Mangel an Richtlinien für den Schutz der Rechte von Nicht-Deutschen sind eine Zeitbombe für den deutschen Ruf. Eine Zeitbombe, die jeden Moment explodieren kann.
Die Parteien und ihre Führer in der Regierung - vor allem Kanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Sigmar Gabriel - sollten nicht warten, bis der deutsche Ruf größeren Schaden erleidet oder das Bundesverfassungsgericht in der Sache entscheidet. Die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD muss ihr Versprechen einer "besseren parlamentarischen Kontrolle" der Geheimdienste umsetzen.
Es muss deutlich mehr getan werden als nur - wie bereits beschlossen - die Zahl der Mitarbeiter des Parlamentarischen Kontrollgremiums zu erhöhen. Es sollte zum Beispiel öffentliche Anhörungen von Geheimdienstlern geben, wie in den USA oder Großbritannien. Das Parlamentarische Kontrollgremium und die G10-Kommission müssen sich viel intensiver um die Kontrolle der weltweiten Datensammlung des BND kümmern.
Jeder ist ein Ausländer
Deutschland braucht wesentlich striktere gesetzliche Begrenzungen bei der pauschalen Sammlung von Daten. Die deutsche Regierung muss den BND dazu bringen, die Verhältnismäßigkeit seiner Aktivitäten öffentlich zu belegen. Auch muss der BND zeigen, ob es wirklich keine Alternative dazu gibt, sich an dem weltweiten Rennen der Geheimdienste um immer umfangreichere Datensammeltechniken zu beteiligen.
Deutschland muss ganz klar machen, welche Sicherheit es Nicht-Deutschen bietet. Das ist keine einfache Aufgabe. Aber es ist unbedingt notwendig. Die aktuelle Praxis, bei der Staatsbürger anderer Länder von den Geheimdiensten für "vogelfrei" erklärt werden, muss beendet werden.
Das ist der einzige Weg aus der Überwachungsfalle: Denn in der digitalen Welt sind wir fast immer alle Ausländer. Schließlich reisen unsere Daten kontinuierlich von Staat zu Staat, von Rechtsbereich zu Rechtsbereich. Wir wollen nicht auf einen deutschen Edward Snowden warten, der den Schleier über dem BND lüftet und die deutsche Regierung so zum Handeln zwingt.
Thorsten Benner (@thorstenbenner) ist Direktor des Global Public Policy Institute (GPPi) in Berlin