Ja, diesmal hat die EU tatsächlich etwas drauf gelegt: Es gibt mehr Geld und es gibt durchaus einige konkrete Projekte im Bereich der Infrastruktur und Kommunikation. Ja, und auch die berühmte EU-Beitrittsperspektive wurde wieder erneuert.
Doch für ein allgemeines Schulterklopfen gibt es nach dem Westbalkangipfel in Triest wenig Anlass. Denn die Probleme der Länder mit sich selbst und untereinander sind viel zu gravierend, als dass sie mit den vereinbarten Mitteln wirklich zu lösen wären. Sie sind nicht nur gravierend, sie sind vielmehr fundamental und werden von dem bereits im vierten Jahr laufenden sogenannten "Berlin-Prozess" nicht ausreichend bekämpft und direkt an der Wurzel gepackt. Deshalb sind auch die Fortschritte so klein, ist die Ernüchterung dagegen so groß, und deshalb können schon angelaufene Prozesse jederzeit wieder ins Stocken geraten oder gar ganz abbrechen.
Wachsende Autokratie im Schatten der EU
Denn die Europäische Union hat im Westbalkan inzwischen viel von ihrer Strahlkraft verloren und zieht als Zukunftsperspektive politisch längst nicht mehr allein. Die Politiker der Westbalkanländer bedanken sich für die Zuwendung und ausgestreckte Hand aus Brüssel keineswegs mit Wohlverhalten mit Blick auf die europäischen Werte und demokratischen Prinzipien. Vielmehr hat sich in den vergangenen Jahren bei vielen Balkanpolitikern eine gefährliche Fahrlässigkeit etabliert, die von Seiten der EU-Partner häufig mit viel zu viel Verständnis für angebliche innenpolitische Zwänge hingenommen wird. Dabei führt dieses Verhalten im Ergebnis in erster Linie zum Machterhalt von immer autokratischer herrschenden Regierungspolitikern.
Die stark an wirtschaftlicher Entwicklung ausgerichteten Programme des Berlin-Prozesses verfolgen die Strategie "Wandel durch Handel" und setzen darauf, dass wirtschaftliche Prosperität automatisch zu liberalen und pluralen Gesellschaften führt. Wichtig wäre hingegen, dafür zu sorgen, dass diese Wirtschafts-, Infrastruktur und Digitalisierungsprogramme auch in die Breite der Bevölkerung wirken und nicht nur wenige Oligarchen stärken.
Die große Aufmerksamkeit, die der Balkan zurzeit genießt, verdankt er gerade nicht ermutigenden Entwicklungen aus dem Berlin-Prozess, sondern im Gegenteil politischen Dauerkrisen mit Gewaltpotenzial sowie ideologischer und ethnischer Sprengkraft. Die anhaltende ökonomische Stagnation und die politische Klientel-Wirtschaft sind der Grund dafür, dass in großen Teilen der Gesellschaften eine hochbrisante Mischung aus Armut, Resignation und ideologischer Aufheizung mit nationalistischer oder religiöser Radikalität zu finden ist.
Einer blockiert immer
Als wichtiges konkretes Ergebnis des Triest-Gipfels wurde ein Transportabkommen unterzeichnet. Doch der kleine Erfolg, dass erstmals Serbien und Kosovo die Unterschrift unter einen gemeinsamen Vertrag setzten, ging unter, weil Bosnien-Herzegowina seine Unterschrift verweigerte. Warum? Die störrische, nach starker Eigenständigkeit strebende Teilrepublik Republika Srpska blockiert aus einer prinzipiellen innenpolitischen Blockadehaltung die föderale Regierung. Was innerhalb Bosnien-Herzegowinas zu Dauerkomplikationen führt, kann auch auf der Ebene des Balkans jederzeit zu Konflikten zwischen den Staaten führen: Serbien etwa erkennt Kosovo nicht an, Mazedonien wird seit Jahren wegen des Namenstreits vom EU-Mitglied Griechenland blockiert und so weiter und so fort.
Doch diese konfliktträchtigen Fragen werden im Berlin-Prozess aus falscher Rücksichtnahme nicht wirklich entschieden angepackt. Ebenso wenig gibt es ausreichend Druck auf die politischen Führer der Länder, die Prinzipien von Rechtsstaatlichkeit und Pluralismus einzuhalten. Mit Recht forderten die parallel zum Gipfel tagenden Vertreter der Zivilgesellschaft in Triest von der EU mehr Klartext und eine stärkere Einbindung auch anderer gesellschaftlicher Kräfte - nicht nur der Politik.
Spielregeln einfordern!
Die politische Stabilität auf dem Balkan ist auch unsere politische Stabilität, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel in Triest erklärt. Doch es besteht die Gefahr, dass sich die EU diese Stabilität zu leichtfertig allein von den Machteliten garantieren lässt und dafür die in den vergangenen Jahren mühsam entstandene Vielfalt in der Zivilgesellschaft und den Medien opfert. Solange die EU noch etwas Anziehungskraft besitzt und sie auch in den Auf- und Umbauprozessen intensiv involviert ist, sollte sie auch deutlicher die demokratischen Spielregeln einfordern. Denn nur diese werden den wirtschaftlichen Aufschwung absichern und eine Lebensperspektive für die Menschen in ihrer Heimat schaffen. Derzeit stimmen nämlich immer noch vor allem die Jungen und gut Ausgebildeten zu Tausenden mit den Füßen ab.
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