1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Kompromiss in greifbarer Nähe

Jannis Papadimitriou
23. Januar 2019

Am Donnerstag will das griechische Parlament über den Kompromiss im Namensstreit um Mazedonien abstimmen. Linkspremier Alexis Tsipras scheint über die nötige Mehrheit zu verfügen.

https://p.dw.com/p/3C2ax
Griechenland Athen | Protest gegen Abkommen mit Mazedonien, Namensstreit |
Bild: Reuters/A. Avramidis

Er musste viel Häme, Kritik von Rechts und nicht zuletzt den Abgang seines Koalitionspartners, der rechtspopulistischen ANEL-Partei, hinnehmen. Doch Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras scheint fest entschlossen, sein bisher wichtigstes außenpolitisches Projekt durchzubringen: Es geht um den Kompromiss im ewigen Namensstreit mit Mazedonien, den Tsipras im vergangenen Jahr mit seinem mazedonischen Kollegen Zoran Zaev ausgehandelt hatte.

Demnach soll sich der junge Balkanstaat in "Nord-Mazedonien" umbenennen. Das Parlament in Skopje hat dem Abkommen zugestimmt; nun sind die Griechen am Zug. Am Dienstag wurde die erste Hürde genommen, als der Verteidigungsausschuss des Athener Parlaments dem Abkommen zustimmte. Am Donnerstag wird im Plenum abgestimmt - es sei denn, die konservative Opposition greift zu einem Verfahrenstrick und bringt einen Mißtrauensantrag ein, um die Abstimmung zu verzögern.   

Infografik Karte Mazedonien EN
Stein des griechischen Anstoßes: Gleich drei der dreizehn griechischen Provinzen tragen den Namen Makedonien

Linkspremier Tsipras verfügt ohnehin über keine eigene Mehrheit, nachdem die ANEL-Rechtspopulisten aus Protest gegen die Annäherung mit den slawischen Nachbarn seine Regierung verlassen haben. Doch er gibt sich zuversichtlich, dass der Kompromiss mit den Stimmen kleinerer Parteien und unabhängiger Parlamentarier durchkommt. Immerhin hat die sozial-liberale Partei To Potami signalisiert, dass sie mehrheitlich für das Abkommen stimmt.

Eine Schlüsselfigur ist dabei der Abgeordnete Spiros Danellis: Bei einer Vertrauensabstimmung letzte Woche stimmte er überraschend für Tsipras und wurde daraufhin von den Sozial-Liberalen ausgeschlossen. Dem Abkommen mit Skopje will er ebenfalls zustimmen. "Seit Jahren bin ich für die Annäherung zum Nachbarland und werde am Donnerstag für das Abkommen stimmen; diese Entscheidung ist im Einklang mit meinem Gewissen und auch mit meiner politischen Vergangenheit", sagt Danellis der DW. Er gehe davon aus, dass die nötige Mehrheit im Parlament zustande kommt. "Abtrünnige der Rechtspopulisten und nicht zuletzt Abgeordnete meiner ehemaligen Partei To Potami unterstützen den Kompromiss", so der Sozialdemokrat.

Politiker werden bedroht

Danellis hat es nicht einfach: Seit mehreren Monaten wird er von selbsternannten Patrioten als "Verräter" beschimpft. Seine Familie auf der Insel Kreta wird von Unbekannten bedroht. Trotzdem glaubt der 63-jährige, das Richtige zu tun. Was ihn besonders schmerzt: Sowohl er, als auch seine einstige Partei übernehmen viel mehr Verantwortung, als ihnen zusteht, sagt er, während andere in der Mazedonien-Frage schweigen oder auf Konfrontation gehen. Kyriakos Mitsotakis, Chef der größten konservativen Oppositionspartei Nea Dimokratia (ND), hat sich längst gegen den Kompromiss positioniert.

"Die ND wird alles tun, um die Ratifizierung des Abkommens zu verhindern" wiederholte er auf einer Parteiveranstaltung in Thessaloniki am Dienstag. Seine Begründung: "Mit diesem Abkommen tritt Griechenland erstmals die sogenannte mazedonische Sprache und Identität an die Nachbarn ab - aus Gründen, die nur Herr Tsipras kennt". Auch die einst mächtige sozialistische PASOK, die unter ihrem neuen Namen KINAL ein kümmerliches Dasein fristet, lehnt den Kompromiss ab. Nicht zuletzt Vassilis Leventis, Chef der politisch schwer zu zuordnenden "Zentrumsunion", ist gegen eine Annäherung mit den slawischen Nachbarn.

Reportage Mazedonisches Referendum
Vertrag unterzeichnet, Widerstände bleiben: Zaev (li.) und Tsipras im Herbst 2018 bei der Belegung des NamensstreitsBild: DW/D. Tosidis

Linksgerichtete Zeitungen berichten, die Mazedonien-Frage sei nicht weniger als der Vorbote einer Neuordnung der Parteienlandschaft in Hellas. Demnach würde Alexis Tsipras mit seiner SYRIZA-Partei führende Kraft in einem neu entstehenden Mitte-Links-Lager, während die Konservativen angeblich die Nähe zu den Rechtspopulisten suchten. Auch Danellis ist dieser Meinung: "Wer an eine Allianz progressiver Kräfte glaubt, kommt an SYRIZA nicht vorbei, alles andere wäre realitätsfremd", meint der Sozialdemokrat. Daran werde Premier Tsipras nach der nächsten Parlamentswahl in Griechenland arbeiten, die er vermutlich für Mai ansetzen wolle - parallel zur Europawahl. 

Neue Demos angekündigt

Unterdessen rufen die Gegner des Mazedonien-Abkommens zu neuen Protestaktionen am Donnerstag auf, während die Volksvertreter über den Kompromiss mit dem Nachbarstaat abstimmen sollen.  Anders als bei früheren Demonstrationen gehen politische Parteien und die orthodoxe Kirche auf Distanz zu den Protestlern - als Veranstalter fungieren "makedonische Kulturvereine" aus aller Welt. Schon für den vergangenen Sonntag hatten sie zum Massenaufmarsch vor dem Parlament aufgerufen. Über eine halbe Million Menschen sollten dort für den "griechischen Charakter Mazedoniens" demonstrieren. Nach Polizeiangaben erschienen nicht mehr als 60.000.

In den sozialen Medien wird über die geringe Teilnehmerzahl und den anscheinend nachlassenden Patriotismus spekuliert. Vielleicht liege es am schlechten Wetter. Oder daran, dass am Sonntag Stefanos Tsitsipas, das griechische Tennis-Wunderkind, gegen den Weltranglistendritten Roger Federer spielte und das Duell live übertragen wurde. Voller Ironie kommentiert daher ein Twitter-Nutzer: "Die Welt steht Kopf: Die Rechten laufen zur Demo, die Linken bleiben zu Hause und gucken Tennis."