Iran: Machtkampf um neues Kopftuchgesetz
17. Dezember 2024Irans Präsident Massud Peseschkian hat sein Veto gegen das kürzlich vom Parlament verabschiedete Kopftuchgesetz eingelegt und den Nationalen Sicherheitsrat eingeschaltet – das höchste Entscheidungsgremium der Islamischen Republik in Sicherheitsfragen. Peseschkian hofft, dass das Gesetz dort zumindest in Teilen revidiert wird. Nach Angaben der Tageszeitung Hamshahri begründete Präsidentenberater Ali Rabiei diesen Schritt mit möglichen gesellschaftlichen Folgen des Gesetzes.
Das von islamischen Hardlinern im Parlament vorangetriebene Gesetz sieht drastische Strafen für Frauen vor, die gegen die Kopftuchpflicht verstoßen. Dazu gehören hohe Geldstrafen, der Entzug öffentlicher Dienstleistungen, gezielte Maßnahmen gegen prominente Personen wie Berufs- und Ausreiseverbote sowie die Beschlagnahmung von bis zu fünf Prozent des Vermögens.
In den letzten Wochen haben Medienschaffende, Lehrer und Kinderaktivisten in mehreren Erklärungen die Aussetzung des umstrittenen Hijab-Gesetzes gefordert. Sie bezeichneten das Gesetz als eine "eklatante Beleidigung" der Bevölkerung und warnten vor den gesellschaftlichen Folgen.
Verhärtete Fronten
In einer Debatte auf der Plattform Azad Media, gegründet von der Universität Scharif zur Förderung von kritischer Reflexion, kritisierte Strafrechtsprofessor Mohsen Borhani am 9. Dezember das Gesetz scharf: "Mit solchen Pseudogesetzen spaltet das Parlament die Gesellschaft weiter."
Borhani, der aufgrund seiner Kritik am politischen System 2023 verhaftet und von der Universität Teheran suspendiert wurde, könnte unter Präsident Massud Peseschkian wieder an seinen Lehrstuhl zurückkehren. Nun warnt der Jurist und Kriminologe vor den Folgen des Hijab-Gesetzes, das nicht nur Bürgerrechte verletze, sondern auch den Glauben an die Religion untergrabe.
Beobachter sehen in dem Streit um das Gesetz auch einen Machtkampf zwischen Hardlinern und moderaten Kräften. Präsident Peseschkian hatte während seines Wahlkampfs versprochen, einen gemäßigteren Kurs einzuschlagen.
Auch Peseschkian sei nicht bereit zu verstehen, was Frauen wirklich wollen, sagt die Menschenrechtsaktivistin und ehemalige Journalistin Faezeh Abdipour im Gespräch mit der DW. Seit der Islamischen Revolution 1979 sind Frauen verpflichtet, Kopftuch zu tragen. Das neue Gesetz soll die Strafen nun drastisch verschärfen. Abdipour, die aufgrund ihres Engagements für religiöse Minderheiten und Menschenrechte mehrfach verhaftet wurde, betont: "Frauen in der Islamischen Republik haben gelernt, täglich und konsequent für ihre Freiheit und ihr Leben zu kämpfen. Sie wollen selbst entscheiden, was sie anziehen. Doch leider wird das politische System in dieser Frage wohl kaum nachgeben."
Die Lage für Frauen, die sich weigern, den Hijab zu tragen, verschärfe sich zunehmend. "Es gibt Patrouillen der Sittenpolizei in U-Bahnen und an Kreuzungen, Geldstrafen und Strafzettel für das Nichttragen des Hijabs", berichtet Abdipour. Ihr eigenes Auto wurde vor einigen Monaten aufgrund eines 'Verstoßes' gegen die Kopftuchpflicht beschlagnahmt. "Die Geldstrafe, die ich zahlen musste, war extrem hoch", fügt sie hinzu.
"Frauen, die ihre Stimme öffentlich erheben oder Fotos ohne Hijab in sozialen Medien posten, werden unter Druck gesetzt, Inhalte zu löschen, oft unter Androhung rechtlicher Konsequenzen. Auch ehemalige Häftlinge - wie ich - werden von den Sicherheitsbehörden weiter verfolgt."
Gesellschaftlicher Wandel
In den Großstädten Irans halten sich viele Frauen nicht mehr an die strengen islamischen Kleidungsregeln. Dieser Trend folgte auf die Massenproteste im Herbst 2022, die unter dem Motto 'Frau, Leben, Freiheit' die Weltöffentlichkeit bewegten.
Das neue Hijab-Gesetz sei keine richtige Antwort auf diesen Trend, kritisieren auch Politiker aus konservativen Kreisen, wie vom ehemaligen Parlamentspräsidenten Ali Laridschani, einem Vertrauten des religiösen Oberhaupts Ayatollah Chamenei. "Wir brauchen kein solches Gesetz, sondern höchstens kulturelle Überzeugungsarbeit", betont Laridschani.
Doch genau diese Politik der kulturellen Überzeugung sei gescheitert, meint die Aktivistin Shiva Kianfar. Kianfar, die aufgrund staatlicher Repressionen nach Deutschland geflüchtet ist, sieht in den Protesten von 2022 einen Wendepunkt: "Spätestens seit den landesweiten Demonstrationen hat in der Gesellschaft ein Umdenken stattgefunden. Viele Familien stehen heute an der Seite der Frauen, die sich nicht mehr beugen wollen."
Während der Proteste 2022 wurde Kianfar in der Stadt Urmia verhaftet und verbrachte mehrere Monate im berüchtigten Urmia-Gefängnis. "Wir haben uns selbst dort geweigert, vor unseren Verhörern das Kopftuch zu tragen", erinnert sie sich.
Für ihren Widerstand zahlten sie und ihre Familie einen hohen Preis, sie wurden nur gegen Kaution freigelassen und standen auch danach weiter unter Druck. Für Kianfar ist der anhaltende Widerstand der Frauen Ausdruck eines tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandels – ein Wandel, der ihrer Ansicht nach nicht mehr aufzuhalten ist.