Korruptionsskandal erschüttert Türkei
27. Dezember 20132013 war kein gutes Jahr für den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan und seine Regierung. Der erste Schock kam in den Sommermonaten durch die Proteste im Gezi-Park. Und nun auch noch das: Der größte Korruptionsskandal der jüngsten türkischen Geschichte. Mittendrin: die Regierung und Erdogans AKP-Partei.
Am 17. Dezember wurden bei Großrazzien in Istanbul und Ankara rund 50 Menschen festgenommen. Im Fokus der Ermittlungen: ein Öl-Geschäft mit dem sanktionsbelegten Nachbarn Iran. Das Öl soll gekauft worden sein, doch wegen der UN-Sanktionen nicht mit Geld, sondern durch illegale Geschäfte mit Gold bezahlt worden sein.
Den Beschuldigten wird Betrug, Geldwäsche und Bestechung hoher Regierungsmitglieder vorgeworfen. Gegen Dutzende Verdächtige wurden Strafverfahren eingeleitet, darunter zwei Ministersöhne, ein iranisch-türkischer Geschäftsmann und der Direktor der staatlichen Halkbank, Süleyman Aslan. Das nächste Ziel der Ermittlungen könnte nach Angaben der oppositionsnahen Zeitung "Cumhuriyet" der Sohn des Premiers Bilal sein. Dabei gehe es um Bauaufträge an eine NGO, die angeblich Verbindungen zu Erdogans Sohn hätten.
Schwere Vorwürfe
An Mittwochvormittag (25.12.2013) erklärten zunächst drei Minister, deren Söhne in Untersuchungshaft sitzen, ihren Rücktritt: Wirtschaftsminister Zafer Caglayan, Innenminister Muammer Güler und Umweltminister Erdogan Bayraktar. Letzterer sagte am Donnerstag in einem Telefonat mit einem TV-Sender, er sei zum Rücktritt gedrängt worden, um die Regierung zu entlasten.
Der für neue Korruptionsermittlungen in Istanbul zuständige Staatsanwalt Muammer Akkas erklärte am Donnerstag im Gespräch mit türkischen Medien, dass sich die Polizeibehörden geweigert hätten, die von ihm angeordnete Festnahme weiterer Verdächtiger zu veranlassen. Auf ihn sei Druck ausgeübt worden, kritisiert Akkas: Er rufe die juristische Gemeinschaft auf, "die Unabhängigkeit der Justiz zu verteidigen", melden Presseagenturen.
Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nach den Rücktritten der Minister sagte Regierungschef Erdogan, seine Partei AKP werde Korruption nicht dulden. Sollte sie es dennoch tun, hätte sie ihren Daseinszweck verloren, betonte er auf einer Parteiversammlung in Ankara. Zuvor hatte Erdogan das Vorgehen der Justiz als "dreckige Operation dunkler Allianzen" aus dem In- und Ausland gegen die Regierung verurteilt. Es gebe einen "parallelen Staat", der versuchen würde, den Ruf der Regierung zu ruinieren.
Große Kabinettsumbildung
Am Mittwochabend teilte Erdogan nach einem Treffen mit Präsident Abdullah Gül mit, es seien zehn neue Minister ernannt worden. Neben den drei zurückgetretenen wurden demnach sieben weitere Regierungsmitglieder ausgetauscht, unter ihnen der Minister für Europaangelegenheiten, Egemen Bagis.
Nach Meinung des politischen Analysten Soli Özel, Dozent für internationale Beziehungen, erlebt die türkische Politik gerade ein großes Erdbeben. Er betont, dass die AKP noch die Mehrheit im Parlament hat und Erdogan das Kabinett so umbilden könne, wie er wolle. Wichtig seien jedoch die Kommunalwahlen im März 2014. Er glaube, dass "dieses Beben" noch bis dahin andauere, sagt Özel.
Machtkampf im Dunklen
Hinter dem Korruptionsskandal, so glauben politische Beobachter, steckt auch ein Machtkampf zwischen zwei ehemaligen Weggefährten, der islamisch geprägten Bewegung des Predigers Fethullah Gülen und der AKP-Regierung von Ministerpräsident Erdogan. Der Journalist Ahmet Sik ist Autor eines Buches über die Gülen-Bewegung. Er glaubt, dass die Aufdeckung des Skandals eine politische Operation der Bewegung war. Das Ziel sei, Erdogan zu stürzen. Seit Jahren gibt es in der Türkei die Vermutung, dass Mitglieder der Gülen-Bewegung innerhalb der Polizei und der Justiz sehr einflussreich sind.
"Nach der Aufdeckung des Korruptionsskandals hat die Regierung der Gülen-Bewegung den Kampf angesagt", sagt Soli Özel. Zahlreiche ranghohe Polizisten, darunter auch der Polizeichef Istanbuls, wurden entlassen. In den türkischen Medien war die Rede von einem "Säuberungsakt". Der Journalist Ahmet Sik glaubt allerdings nicht, dass es möglich ist, die Mitglieder der Gülen-Bewegung aus der türkischen Polizei zu entfernen. Die Regierung versuche vor allem, die laufenden Ermittlungen zu blockieren. Das sei ein schwerer Eingriff in die Justiz, sagt Sik.
Internationale Politik
Die innenpolitische Krise hat inzwischen auch internationale Auswirkungen. Ministerpräsident Erdogan beschuldigte ausländische Regierungen, an der "Kampagne" gegen ihn beteiligt zu sein. Einige Botschafter nähmen provokative Handlungen vor. Beobachter vermuten, dass die Anschuldigung insbesondere gegen den US-Botschafter Francis Ricciardone gerichtet war. Ricciardone wies alle Vorwürfe zurück und betonte, die USA hätten in keiner Weise etwas mit den Korruptionsermittlungen zu tun.
Laut Ahmet Sik ist das die übliche Methode der Regierung, jeden illegalen Akt mit Verschwörungstheorien zu erklären. Das bestätigt auch der Analyst Soli Özel. Er meint, dass die Reaktion Erdogans den amerikanisch-türkischen Beziehungen sehr geschadet hat.