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Krach hinter den Kulissen der EU

20. Juni 2004

Nach dem heftigen Streit um den neuen Kommissionspräsidenten auf dem jüngsten EU-Gipfel sucht die Gemeinschaft weiter angestrengt nach mehrheitsfähigen Kandidaten für das Amt. Dabei geht es nicht nur um eine Personalie.

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Die zehn "Neuen" bringen einiges an frischem Wind die EUBild: AP

Als erster wagte sich der außenpolitische Repräsentant der EU, der Spanier Javier Solana, aus der Deckung und signalisierte Bereitschaft, den Posten des Kommissionspräsidenten zu übernehmen. Der Sozialist und ehemalige Außenminister Spaniens, der auch schon NATO-Generalsekretär war, gilt als einer der profiliertesten Politiker in Brüssel. Bei einer Konferenz in Sitges nahe Barcelona sagte er zwar, er sei für keinen Posten Kandidat. Aber zugleich betonte er im Interesse der EU "für alles offen" zu sein.

Bei einer übereinstimmenden Bitte der EU-Staaten, die Nachfolge von Kommissionspräsident Romano Prodi anzutreten, wäre es "sehr schwer für mich, nein zu sagen", so Solana. Die Regierung in Madrid geht allerdings fest davon aus, dass Solana der erste EU-Außenminister wird. Das sei "praktisch entschieden", sagte der spanische Außenminister Miguel Ángel Moratinos nach Medienberichten. Alle EU-Länder seien sich darin einig. Zu den Chancen seines Landsmannes in der Frage des EU-Kommissionspräsidenten erklärte er nur, in der Europapolitik dürfe man nichts ausschließen.

Alte Allianzen

Die Personalquerelen hatten die Atmosphäre beim Verfassungsgipfel am 17 und 18. Juni in Brüssel stark belastet. Der konservative EU-Außenkommissar Chris Patten und sein liberaler Gegenspieler, der belgische Ministerpräsident Guy Verhofstadt, konnten jeweils keine Mehrheit hinter sich bringen. Verhofstadt war der Wunschkandidat des französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac und von Bundeskanzler Gerhard Schröder. Chirac machte umgehend klar, dass er den Briten Patten für die falsche Wahl halte. Und gegen eine Nominierung Verhofstadts machte vor allem der britische Premierminister Tony Blair Front.

Beim abschließenden Abendessen des Gipfels soll es kräftig Krach zwischen Blair und Schröder gegeben haben, wussten Diplomaten zu berichten. Zuvor hatte Blair die Verhandlungsführung von Schröder und Chirac vehement kritisiert. Aussichtsreichster Kandidat ist und bleibt Luxemburgs konservativer Regierungschef Jean-Claude Juncker, auch wenn dieser wiederholt einen Wechsel nach Brüssel abgelehnt hat. In der verfahrenen Situation vertagte der amtierende EU-Ratspräsident Bertie Ahern die Entscheidung darüber, wer den Italiener Romano Prodi im Oktober turnusgemäß ablosen soll.

Neue Allianzen

"Ein neues Europa formiert sich, ein Europa, in dem Großbritannien Bündnisse schließen und sich zu Hause fühlen kann", frohlockte Blair mit Blick auf die zehn neuen EU-Staaten, die ein politisches Gegenwicht zur Achse Deutschland-Frankreich in die Gemeinschaft einbringen. Denn die "Neuen" sind nicht so vom europäischen Integrationsgedanken beseelt wie zum Beispiel Frankreich und betrachten die EU auch nicht zwangsläufig als politisches Gegengewicht zu den USA – wie die Parteinahme einiger Staaten für US-amerikanische Interessen während des Irakkrieges deutlich gezeigt hat.

"Wir haben es jetzt mit einem 'Europa der 25' zu tun und nicht mehr mit einem 'Europa der 6' oder '2' oder '1'", erklärte ein Sprecher Blairs. Die Mehrheitsklausel in der europäischen Verfassung macht es Frankreich und Deutschland zusätzlich schwer, sich allein gegen den Rest durchzusetzen: Bei einer doppelten Mehrheit von 55 Prozent der Mitgliedsstaaten, die 65 Prozent der Gesamtbevölkerung repräsentieren müssen, werden die beiden "Lokomotiven" der europäischen Einigung notgedrungen mit Großbritannien und seinen 60 Millionen, oft europaskeptischen, Einwohnern zusammenarbeiten müssen.

Außerdem hat Großbritannien durchgesetzt, dass das Vetorecht für einzelne Länder in politischen Kernfragen erhalten bleibt. Aber: "Wir haben Sicherheitsklauseln [in die Verfassung] eingebaut. Die verhindern, dass die Staaten, die schneller vorankommen wollen als andere, von denen, die mehr Zeit brauchen, aufgehalten werden", konterte Jaques Chirac. (arn)