Der große Krach
12. März 2015Er hat kräftig ausgeteilt, will aber nicht einstecken: Trotz des eigenen hemdsärmeligen Auftretens im Kreis der Eurozonen-Finanzminister reagiert Yanis Varoufakis (Artikelbild r.) inzwischen ausgesprochen empfindlich. "Herr Schäuble hat mir gesagt, dass ich das Vertrauen der deutschen Regierung verloren habe", erklärte er im Sender Mega TV. "Ich habe ihm gesagt, dass ich es niemals genossen habe, ich habe das Vertrauen des griechischen Volkes." Darüber hinaus aber hatte er in Berlin bereits diplomatische Schritte eingeleitet, um sich über angeblich abwertende Äußerungen Wolfgang Schäubles (Foto l.) nach dem Eurogruppentreffen in dieser Woche vor Journalisten in Brüssel zu beschweren. "Nein, ich habe meinen Kollegen nicht beleidigt", widersprach der Bundesfinanzminister. Die Nerven scheinen blank zu liegen.
Der griechische Finanzminister Varoufakis nahm erneut die Europäische Zentralbank (EZB) aufs Korn: "Aus meiner Sicht verfolgt die EZB eine Politik gegenüber unserer Regierung, die ihr die Luft zum Atmen nimmt". Am vergangenen Wochenende hatte Regierungschef Alexis Tsipras im Interview mit dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" bereits die Notenbank beschuldigt, sie halte "das Seil, das um unseren Hals liegt". Bundesbank-Präsident Jens Weidmann wies das zurück: Es liege nicht an der EZB, dass Griechenland keinen Zugang zum Finanzmarkt habe. Und trotz der Vorwürfe aus Athen dreht die Zentralbank den Geldhahn nicht zu: Sie hat am Donnerstag beschlossen, den Rahmen für ELA-Notfallhilfen, mit denen griechische Banken Liquidität erhalten, einmal mehr um 600 Millionen Euro zu erweitern.
An Syriza ein Exempel statuieren?
Die Eskalation der Vorwürfe findet auf beiden Seiten statt, meint der neue griechische Sonderbotschafter und frühere FDP-Europapolitiker Jorgo Chatzimarkakis. Die Regierung in Athen sollte bewusst von Seiten Berlins "unter die Wasserlinie geduckt werden" - da gebe es dann die Gegenreaktionen. In einem Artikel für das Magazin "Focus" spricht er sogar von einem regelrechten Mobbing gegen Varoufakis. Das sei eine Dynamik, "die jetzt insgesamt keinem hilft". Denn man müsse schon darauf schauen, was ab Juli passiert. Dann wird das vor gut zwei Wochen erneut verlängerte letzte Hilfspaket für Griechenland endgültig auslaufen, und nach allgemeiner Auffassung in der EU wird Griechenland erneut Milliarden brauchen. Da sei es nicht gut, sagt der Sonderbotschafter, "wenn wir jetzt das Klima vergiften". Ob Chatzimarkakis damit Athen, Berlin oder beide kritisieren will, bleibt offen. Auch er ist allerdings ein Anhänger der kursierenden Verschwörungstheorie: "Man will an Syriza ein Exempel statuieren, sie lächerlich machen, damit die anderen (also Wähler in Spanien und Portugal) davor gewarnt sind, so ein Experiment zu machen". Die griechische Öffentlichkeit würde durchaus Zwischentöne wahrnehmen, so etwa, wenn Wolfgang Schäuble in Brüssel konsequent weiter von der "Troika" sprechen würde, erklärt Chatzimarkakis weiter.
Die "Troika" arbeitet wieder
Die Umbenennung in "Institutionen" sei dabei für die Syriza wichtig. Mit der Verlängerung des Hilfspakets musste Athen dennoch akzeptieren, dass die Troika ihre Arbeit wieder aufnimmt. Am Mittwoch fanden in Brüssel die ersten politischen Gespräche der Vertreter von EZB, Europäischer Union und Internationalem Währungsfonds (IWF) seit Oktober statt. Die Finanzexperten, die die Kassenlage prüfen sollen, sind erneut in Athen. Allerdings bekommen sie Berichten zufolge bisher keinen Zugang zu den Ministerien, sondern müssten im Hotel mit Daten von Memory-Sticks arbeiten. Der Sonderbotschafter wirbt um Verständnis: Man müsse die Historie der Troika-Politik betrachten. Auch seien in der Vergangenheit deren Methoden und Ergebnisse nicht immer die besten gewesen. Außerdem standen die Reparationsforderungen aus dem Zweiten Weltkrieg in Griechenland immer im Raum, erklärt Jorgo Chatzimarkakis im Hinblick auf die weitere Front im deutsch-griechischen Verhältnis. Eine Kette von Bundesregierungen hätte sie aus seiner Sicht jahrzehntelang geschickt umgangen.
Reparationsfrage immer noch aktuell
Er räumt dabei ein, dass der 2plus4-Vertrag das Thema Reparationen abschließend geregelt habe. Was aber die Zwangsanleihe aus der Zeit der deutschen Besatzung angehe, sollten beide Seiten doch endlich eine politische Lösung finden, und die Sache etwa durch die Schaffung eines deutsch-griechischen Entwicklungsfonds beenden. Die Drohungen aus Athen allerdings, das Goethe-Institut und andere deutsche Liegenschaften wegen Forderungen aus dem Massaker im Dorf Distomo zu beschlagnahmen, nennt der Sonderbotschafter "höchst unglücklich". Allerdings habe der griechische Justizminister den Auftrag zur Zwangsversteigerung noch nicht unterschrieben.
Ministerpräsident Alexis Tsipras tourt unterdessen weiter durch Europa auf der Suche nach Unterstützung. Am Nachmittag besuchte er die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris, wo er den Mediensturm wieder zu beschwichtigen versuchte: "Es gibt keinen Anlass zur Sorge", was die Zahlungsfähigkeit Griechenlands angehe. "Wir machen unsere Arbeit, wir tun, was vereinbart wurde." Allerdings gebe es zwischen Teilen der Eurogruppe und Athen Misstrauen, das überwunden werden müsse. Gleichzeitig forderte er sozial gerechte Reformen für sein Land. Dazu findet sich auf der Website der OECD eine Broschüre: "Der Weg zur Erholung". Darin stehen auf 20 Seiten alle notwendigen Maßnahmen für eine "nachhaltige Erholung in Griechenland": Von der Steuerreform, der Rentenreform über die Entbürokratisierung bis zu Vorschlägen zur Wiederbelebung der Wirtschaft, fertig mit Daten und Grafiken. All das liegt auf dem Tisch, es müsste nur umgesetzt werden.
Tsipras in Brüssel
An diesem Freitag spricht Tsipras einmal mehr in Brüssel vor, um sich mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Parlamentspräsident Martin Schulz zu treffen. "Er will da ein freundliches Umfeld schaffen", sagt Sonderbotschafter Chatzimarkakis zu dieser Reise. Und er beschwört: Griechenland werde es schaffen, die Teilraten an den IWF für Zinsen und Refinanzierungen zu erfüllen, die noch diesen Monat anstehen. Das sind 335 Millionen Euro am Freitag, 558 Millionen am 16. März und weitere 335 Millionen am 20. März. Außerdem muss Athen in diesem Zeitraum auch 1,3 Milliarden an kurzlaufenden Staatsanleihen refinanzieren. Auf die Frage, ob die Regierung tatsächlich noch genug Geld habe, um die nächste Zeit durchzustehen, ist sich Chatzimarkakis dann doch nicht so sicher: "Ich weiß es nicht. Ich hoffe es"...