Studieren mit Kind - in Deutschland schwierig
9. April 2014Zähneputzen, Frühstück machen, anziehen und los. Während sich ihre Kommilitonen noch mal im Bett umdrehen oder schon für die nächste Prüfung lernen, bringt die 27-jährige María ihren ältesten Sohn Hallmar in den Kindergarten. Ihr Mann ist mit dem anderthalbjährigen Kári schon unterwegs zur Krippe. Ein stressiger Alltag, den sich das Paar aus Island anders vorgestellt hatte. Als sie vor drei Jahren an die Universität Hannover kamen, damit er seinen Doktor und sie ihren Master in Mathematik machen konnte, war ihr Sohn Hallmar erst drei Monate alt. Sie habe damals gedacht, überall gebe es Menschen mit Babies, erzählt Maria. Auch an deutschen Unis.
María und ihr Mann sind keine Exoten mehr an deutschen Hochschulen. Nach der aktuellen Erhebung des Deutschen Studentenwerks sind elf Prozent der ausländischen Studierenden Eltern. Acht Prozent haben ihre Kinder mit nach Deutschland gebracht. Täglich balancieren sie Seminare, Hausarbeiten, Freunde und Kinder - ohne die Unterstützung der Familie. Daher sind sie umso mehr auf Betreuungsmöglichkeiten angewiesen. "Wir brauchen Universitäten mit einer wertschätzenden familienorientierten Kultur", fordert Frank Ziegele, Professor in Osnabrück und Geschäftsführer des gemeinnützigen Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) in Gütersloh.
Ausländische Forscher bringen neue Wertekultur mit
Wie eine solche Kultur aussehen kann, zeigt das CHE mit seinem Projekt "Familie in der Hochschule", in dem sich zwölf Hochschulen zusammengeschlossen haben. Sie haben für die Studierenden und Mitarbeitenden nicht nur eigene Kitas eingerichtet, sondern bieten darüber hinaus flexible Betreuungsmöglichkeiten für die Kinder an, etwa an den Abenden oder am Wochenende. Außerdem kann an diesen Hochschulen Teilzeit studiert werden. Im vergangenen Jahr entwickelte das Projekt die Charta "Familie in der Hochschule". Ende Mai kann der Wertekanon für mehr Familienfreundlichkeit an deutschen Hochschulen auf einer Tagung an der Leibniz-Universität auch von anderen Unis unterzeichnet werden.
"Viele deutsche Hochschulen sind daran interessiert", erzählt Ziegele. "Zumal es nicht zuletzt durch die ausländischen Wissenschaftler einen drastischen Wertewandel an den deutschen Unis gibt." Viele herausragende Forscher wollten Familie und Wissenschaftskarriere unter einen Hut bringen. "Sie zeigen, dass sie ein Privatleben haben." Anders als früher werde der Gang in die Wissenschaft heute nicht mehr als "Selbstaufgabe" begriffen, dem sich alle privaten Bedürfnisse unterzuordnen hätten.
Dringend nötig: Mehr flexible Kinderbetreuung
Mit einer ähnlichen Auffassung kam auch die 27-jährige María nach Deutschland. Sie war erstaunt und auch enttäuscht, wie schwierig es ist, einen Kindergartenplatz zu bekommen. In Island, so erzählt sie, gebe es eine zentrale Stelle, die einzelne Plätze vergebe. "Du musst nicht zu jedem Kindergarten gehen und dich dort bewerben." Außerdem sind die Öffnungszeiten deutlich flexibler. Geholfen hat der Familie die Notfallkinderbetreuung der Uni-Kita. Sie bietet Studierenden eine flexible und spontane Betreuung an. "Mein Mann musste zu einer Konferenz nach Schweden und ich zur Uni", berichtet María. "Ich konnte meinen Sohn einfach vorbeibringen. Das war eine wirklich gute Lösung."
Meistens bekommen die jungen Eltern aber alles unter einen Hut. Für ihr Studium hat die 27-Jährige gerade mal ein Jahr länger gebraucht als normal. Die Masterarbeit liegt in den letzten Zügen. Sie nutzt die Zeit, wenn die Kinder in der Kita und im Kindergarten sind oder setzt sich abends noch mal an den Schreibtisch. Zwei Kinder und ein Masterabschluss in Mathematik - das ist María noch nicht genug. Die Familie wird nach Belgien weiterziehen. Dort will die 27-Jährige promovieren. "Es wird schon irgendwie funktionieren", lacht sie.
Ein Netzwerk an Unterstützung schaffen
Mittlerweile kann auch die spanische Doktorantin Ana María wieder lachen. Die 47-jährige unterrichtet Spanisch an der Universität Hildesheim. Nebenbei arbeitet sie an ihrer Doktorarbeit. Ihre Tochter Eva ist acht Jahre alt und geht in die zweite Klasse. Anfangs war alles ziemlich stressig, erinnert sich Ana María. "Manchmal weiß ich gar nicht, wie ich das alles geschafft habe", sagt sie. Mit den starren Öffnungszeiten der deutschen Kindergärten und ganz ohne Familie, die ihr bei der Betreuung hätte helfen können.
Stattdessen bauten sich Ana María und ihr Mann ein Netzwerk aus anderen Eltern und Nachbarn auf. Dort kann Eva zum Beispiel spontan Mittagessen, wenn ihre Eltern es nicht schaffen, rechtzeitig zu Hause zu sein. Und wenn es gar nicht anders geht, dann kommt Eva auch schon mal mit zum Promotionskolloquium. "Wir hatten Brote dabei und dann hat sie dort gesessen und gemalt", erzählt Ana María. Die Unterstützung des Instituts sei groß.
Damit Familienfreundlichkeit nicht nur die Sache einzelner Institute bleibt, hofft Professor Frank Ziegele, dass im Mai möglichst viele Hochschulen die Charta des Projekts "Familie in der Hochschule" unterzeichnen. Als reinen "Papiertiger" sieht er den Wertekanon nicht. "Wer die Charta unterschreibt, verpflichtet sich auch dazu, im Netzwerk mitzuarbeiten, sich mit anderen Hochschulen auszutauschen und von ihnen zu lernen", erklärt er.