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Schwierige Recherchen in Boomzeiten

Maja Braun19. Juni 2013

In wirtschaftlich aufstrebenden Ländern ist Kritik an Staat und Unternehmen nicht erwünscht. Auf dem Global Media Forum in Bonn berichteten Journalisten aus China und Nigeria, wie sie auf Missstände aufmerksam machen.

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Zeitungsauslagen in Lagos (Foto: DW)
Bild: DW

China im September 2008: Ein Skandal erschüttert den asiatischen Wirtschaftriesen. 300.000 Kinder sind an verseuchtem Milchpulver erkrankt. Unternehmen hatten das für Menschen giftige Melamin untergemischt, um einen höheren Proteingehalt vorzutäuschen. Für den Journalisten Qing Zhou war das keine Überraschung. Bereits Jahre zuvor habe er in einem Buch die mangelnde Ernährungssicherheit in seinem Land beklagt, erzählt er. "Die Führungsebene kannte den Inhalt meiner Recherchen. Sie wusste, wie ernst die Lage war und dass ein Milchpulverskandal passieren würde."

Die einzige Reaktion, die Qing Zhou von der Regierung bekam, war die Drohung, dass ihn sein Buch ins Gefängnis bringen könnte. Heute lebt der Autor im Exil in München.

Chinesische Eltern warten in einer Kinderklinik auf die Untersuchung ihrer Kinder (Foto: AP)
Chinesische Eltern warten 2008 in einer Kinderklinik auf die Untersuchung ihrer KinderBild: AP

Die Nigerianerin Toyosi Ogunseye hatte mehr Erfolg mit ihrem letzten Recherche-Coup vergangenes Jahr in Nigerias Boom-Town Lagos. Sie hatte nachgewiesen, dass die Produktion einer Stahlfabrik die Umwelt stark verseucht und sogar Krebserkrankungen bei Anwohnern ausgelöst hatte. Die Fabrik wurde nach der Veröffentlichung ihrer Geschichte geschlossen, die betroffenen Anwohner bekamen Schmerzensgeld.

Gesundheit gegen wirtschaftliche Entwicklung

Der Weg dahin war nicht einfach: Politiker hatten zum Zeitpunkt der Recherche Anteile an der Firma, deren Beitrag an Nigerias Wachstum im Land gelobt wurde. Ein Argument, das die Journalistin Ogunseye nicht gelten lässt. "Ich meine, das Wirtschaftswachstum muss den Menschen zugute kommen. Aber wenn die Menschen, die davon profitieren sollen, sterben, wer profitiert dann?"

Ihr größter Erfolg sei deshalb nicht die Schließung der Fabrik gewesen, sondern dass sie es geschafft habe, den Menschen bewusst zu machen, dass sie durch die Fabrik krank wurden. Ihre Zeitung, die unabhängige "The Sunday Punch", hatte sogar medizinische Tests bezahlt, mit denen die gesundheitlichen Schäden nachgewiesen werden konnten. Aber solch eine Unterstützung für investigativen Journalismus ist eine Ausnahme in Nigeria: Die meisten Medien gehören der Regierung. Deshalb nutze auch das erst wenige Jahre alte Gesetz zum freien Informationszugang wenig, sagt die Journalistin Toyosi Ogunseye. "Da kann man 1001 Gesetze haben, die die Pressefreiheit garantieren - ohne eine demokratische Umgebung, in der diese Gesetze angewendet werden können, sind sie nutzlos."

Dasselbe gelte auch für die demokratischen Institutionen in ihrem Land. Denn eigentlich hätte die nigerianische Umweltbehörde den jahrelangen Beschwerden der Anwohner in der Umgebung der Stahlfabrik nachgehen müssen. Am Ende hat die Journalistin diesen Job übernommen - und war dabei zahlreichen Bestechungsversuchen des Unternehmens ausgesetzt.

Die Nigerianerin Toyosi Ogunseye auf dem Global Media Forum (Foto: DW)
Toyosi Ogunseye: "Wir brauchen die Fabriken, aber sie dürfen uns nicht umbringen"Bild: DW

Im Buchladen versteckt, auf CD verbreitet

Ihre Enthüllungsgeschichte schlug ein wie eine Bombe. Der Chinese Qing Zhou dagegen kann von so einer Öffentlichkeit nur träumen. Sein Buch über Chinas Missstände in der Lebensmittelindustrie wurde zwar stark zensiert veröffentlicht, wird aber von den Buchläden gerne versteckt, etwa in der Abteilung für Baumaterialien. "Aber zum Glück haben wir ja Hongkong, wo man das Buch kaufen kann", sagt der Autor. In der Sonderverwaltungszone hat die chinesische Regierung kaum Einfluss. Journalist Qing Zhou hat noch eine andere Idee zur Verbreitung seines Werkes. Er habe nichts gegen Raubkopien: "Am besten das Buch auf CD ziehen und verschenken, das ist eine sehr effektive Verbreitungsmethode", sagt er - und holt eine Kopie auf CD aus der Tasche.

Dass Journalisten die für die Demokratie so wichtige Rolle als vierte Macht im Staat übernehmen, ist in China besonders dann schwierig, wenn es um Missstände in der Wirtschaft geht. Denn die Regierung will Wirtschaftsinteressen schützen. Seine Recherche konnte Qing Zhou nur dank seiner guten Beziehungen zu Informanten aus Wirtschaft und Behörden durchführen.

Der chinesische Journalist Qing Zhou beim Global Media Forum (Foto: DW)
Qing Zhou: "Ich hatte gehofft, dass meine Prophezeiungen nicht wahr werden"Bild: DW

Die Nigerianerin Ogunseye befürchtet, dass auch in afrikanischen Ländern die Medien als vierte Macht in Zukunft kaum Einfluss haben werden und damit wenig zu einer gesunden wirtschaftlichen Entwicklung beitragen können. Der Grund: Journalisten verlieren an Glaubwürdigkeit, weil die Regierungen sie gezielt in Verruf bringen. "Das ist schon lustig: Irgendetwas geht schief, schon heißt es: die Medien sind schuld, es liegt daran, wie die Medien über etwas berichten." Aber die Inhalte für die Geschichten würden ja nicht erfunden, verteidigt sich Ogunseye. "Die Regierung liefert uns doch die Inhalte", sagt sie. Wenn Regierung und Unternehmen verantwortungsvoll handeln und die Beschwerden der Menschen ernst nehmen würden, dann könnten Journalisten das auch so schreiben. "Aber wenn nicht - tja, was sollen wir da machen?“