Centre Pompidou: die Kulturmaschine wird 40
31. Januar 2017Am besten kommt man abends. Dann sieht das Centre Pomidou mit seinen beleuchteten Röhren aus wie ein Kraftwerk oder ein schaurig-schönes Monstrum mit Stahlgerippe. So lieben es die Touristen, die stehen bleiben, um Fotos zu machen oder einem der Straßenkünstler dabei zuzusehen, wie er sich ein Messer in den Schlund schiebt oder Feuer spuckt. Das Centre Pompidou ist ein "Must See" in Paris. Rund drei Millionen Besucher stellen sich jährlich in die Schlange vor dem Eingang und lassen geduldig ihre Taschen durchwühlen. Nicht erst seit den Attentaten auf das Satiremagazin Charlie Hebdo und wenig später auf den Club Bataclan sowie das Stade de France gibt es langwierige Sicherheitskontrollen für alle, die rein wollen.
Georges Pompidous demokratische Vision
Mit dem Centre Pompidou setzte sich Staatspräsident Georges Pompidou, der 1969 sein Amt antrat, ein Denkmal für die Ewigkeit. Die Idee zur Gründung eines repräsentativen Museums für die Kunst des 20. Jahrhunderts existierte bereits in der Charles de Gaulle-Ära, umgesetzt wurde sie allerdings erst von seinem Nachfolger Pompidou. Es sollte ein Kulturzentrum der anderen Art entstehen, etwas nie Dagewesenes. Pompidou legte dem Centre eine radikal-demokratische Idee zugrunde: Kultur für alle und alle Kulturen unter einem Dach. Nämlich: eine Bibliothek, das Nationalmuseum für moderne Kunst, das Institut für experimentelle Musik, Kinos, Vortragssäle, Sonderausstellungshallen. Eine kulturelle Mehrspartenraffinerie eben. Als das Kulturzentrum am 31. Januar 1977 eröffnet wurde, war es umstritten. "Notre Dame der Rohre" oder "Ölraffinerie" waren die Spitznamen der Kritiker für das Gebäude, heute haben die Franzosen es längst akzeptiert.
Ich habe es gut. Ich darf mir ein "Laissez-passer" abholen, einen Türöffner, mit dem ich an jeder Schlange vorbeiziehen kann. Doch die ist an dem kalten Freitagabend ohnehin nicht lang. Das Tiefdruckgebiet Egon bringt eisige Luft nach Europa, und so stehen nur wenige Leute an, um Einlass zu erhalten. In der Eingangshalle auf Niveau 0 herrscht eine ungewohnte Übersicht. Leuchtbuchstaben, die dem Centre etwas Las Vegashaftes verleihen, weisen den Weg in die sechs Etagen. Rolltreppe abwärts auf Niveau -1 nehmen und man gelangt zum Forum Photographie und dem Kinosaal. Die Filmfestivals, die das Centre Pomidou jährlich ausrichtet, sind legendär. Hier gibt es avantgardistische Regisseure aus aller Welt zu entdecken: von China bis Afrika. Auch die fotografische Sammlung ist beeindruckend umfangreich und verwaltet 100.000 Aufnahmen, die ständig ergänzt werden.
Bibliothek mit 430.000 Dokumenten
Mit der Rolltreppe aufwärts auf Niveau 1- 3 geht es vorbei an einer Zwischenetage, in der sich das Musée d'Enfants ausbreitet. Als eines der ersten Museen hat sich das Centre Pompidou darum gekümmert, ein eigenes Areal für museumspädagogische Angebote zu schaffen. Kinder dürfen unangemeldet bauen, malen oder Filme über berühmte Architekten ansehen. Den ersten, zweiten und dritten Stock lassen Touristen meist links liegen. Dabei ist die dreietagige Präsenzbibliothek ebenfalls einen Besuch wert. Manchmal gibt es dort auch Ausstellungen - wie im Moment über den französischen Comic-Helden "Gaston". Die meisten, die sich hier in die Schlange stellen, kommen aber, um sich in eins der 430.000 Bücher, Zeitschriften oder Dokumente zu vertiefen. Das geht hier schnell und unbürokratisch. Alle Bücher sind einsehbar. Es gibt kein Archiv, aus dem Bibliothekare sie hervorholen müssen. Elektronisch top ausgerüstet kann man hier an Computern mehr als 100 Sprachen lernen oder seine "Maîtrise", seine Magisterarbeit, verfassen. Oder sich hinter einer Zeitung verstecken und einfach nur ein paar Stunden den Schutz eines Dachs über dem Kopf genießen. Für die Obdachlosen der Stadt ist die Bibliothek nämlich zum beliebten Unterschlupf geworden, wo man den Tag auch noch sinnvoll verbringen kann. Pro Jahr nutzen knapp eine Millionen Menschen die Bibliothek des Centre Pompidou.
Konkurrenz für New York
Etage 4 bietet bereits einen atemberaubenden Ausblick. Hier ist die ständige Sammlung beheimatet. Jeden ersten Sonntag im Monat ist ihr Besuch gratis. 1600 Kunstwerke sind zu sehen, darunter Schlüsselwerke der Moderne und der Gegenwartskunst: allein 200 Werke von Kandinsky, 250 von Henri Matisse und 150 von Pablo Picasso.
Wände mussten künstlich geschaffen werden, um die Werke vor zuviel Licht zu schützen. Die Architekten Richard Roger und Renzo Piano hatten nicht daran gedacht, dass ihre Plattformen, wie sie die hallenartigen Etagen ohne Stützpfeiler nennen, für die Präsentation von Kunst nicht geeignet sein würden. Deshalb wurde ein externer Architekt beauftragt, ein Museum im Museum zu bauen, das über geschlossene Gänge und Räume verfügt. Das Grandiose im Centre Pompidou habe ich noch nicht erwähnt. Der Weg nach oben führt über transparente Rolltreppen. Wer einmal mit der gläsernen Röhre die Fassade im leichten Zickzack nach oben gefahren ist, könnte sein ganzes Leben nichts anderes mehr tun. Etage für Etage taucht ein bisschen mehr von der Umgebung auf: Die Gassen des Hallenviertels, die Börse, bis am Horizont Sacre Coeur und der Eiffelturm zu erkennen sind.
Von Niveau 4 geht es mit der gläsernen Rolltreppe, deren Nutzung neuerdings Geld kostet, sofern nicht die Bibliothek oder eine Ausstellung besucht wird, auf Niveau 5, ins Café und Restaurant. Und auf die Aussichtsplattform. Auch die ist bei Nacht besonders spektakulär. Das Centre Pompidou ist jeden Tag bis 22 Uhr geöffnet - eine Kulturmaschine, die nur wenig Schlaf braucht.
Expansion des Centre Pompidou
Relativ jung ist die Expansion des Pompidou. 2010 eröffnete es eine Filiale in Metz in Lothringen und 2015 eine Außenstelle im spanischen Málaga. Ende September 2016 verkündete die weltberühmte Institution, 2020 auch noch eine Dépendance in Brüssel eröffnen zu wollen. Aber erstmal wird der 40. Geburtstag gefeiert. Und zwar nicht nur in Paris, sondern in 40 Städten überall in Frankreich. Von Toulouse bis Lille. Am Geburtstagswochenende, dem 4. und 5. Februar, besinnt sich das Centre Pompidou übrigens wieder auf sein demokratisches Grundkonzept: Zwei Tage lang sind alle Ausstellungen und Veranstaltungen kostenlos zu besuchen. Da muss wirklich niemand in die Röhre schauen.