Es ist schon zu viel passiert: Im Jahre 2020 der niedergeschlagene Volkaufstand in Belarus und die fortgesetzte brutale Unterdrückung auch der Künstler, in diesem Jahr der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, der die nationale und kulturelle Identität des Landes bedroht.Längst ist für den belarussischen Dirigenten Vitali Alekseenok und seine musikalischen Mitstreiter aus Kiew und Minsk die Zeit gekommen, aktiv in das politische Geschehen einzugreifen: "Es gab keine Zeit, wirklich zu weinen, zu reflektieren, man muss reagieren, es ist die Zeit für Taten" sagt Alekseenok.
Als künstlerischer Leiter des Charkiw Music Festivals ist er auch in der Ukraine aktiv. Jetzt hat er den Sophia Chamber Choir aus Kiew, den Volny Chor aus Minsk und den Gewandhaus Jugendchor aus Leipzig für den Campus Osteuropa von Beethovenfest und Deutsche Welle zusammengebracht. Alle kämpfen sie mit den Mitteln der Musik gegen Gewalt und Unterdrückung. Der Volny Chor war mit seinen Flashmobs Teil des weltweit beachteten Volksaufstandes in Belarus gegen Diktator Alexander Lukaschenko. Mitglieder des Chores wurden eingesperrt und brutal misshandelt. Aus Angst vor Repressionen tragen sie bei öffentlichen Auftritten Masken.
2007 gegründet, wird der Sophia Chamber Choir wichtiger Teil des Kiewer Musiklebens. Doch mit dem Krieg hat sich seine Aufgabe, sein Selbstverständnis verändert. Heute sieht er sich als Kulturbotschafter seines Landes und versucht den Menschen in der Ukraine mit Konzerten Mut zu machen. Die Uraufführung eines besonderen Auftragswerkes der Deutschen Welle steht im Mittelpunkt des Konzertes beim Beethovenfest: "The Sky of Mary". Es ist der bekannten belarussischen Oppositionsführerin Maria Kalesnikowa gewidmet. Seit Januar 2022 ist sie in einem Arbeitslager interniert. Das uraufgeführte Werk stammt aus der Feder von Olga Podgayskaya, einer der wichtigsten Komponistinnen aus Belarus und enge Freundin von Maria Kalesnikowa. Podgayskayas Musik ist in Belarus verboten. Kultur.21 begleitet Vital Alekseenok und die Chöre bei ihren intensiven Proben in Warschau und bei ihrem vielbeachteten Konzert beim Beethovenfest in Bonn.
Und wir treffen Tatsiana Khomich, Schwester der Dissidentin Maria Kalesnikowa, die uns Briefe aus dem Arbeitslager mitbringt und erzählt, wie viel ihrer Schwester Musik bedeutet. Immer geht es dabei um die Frage: Wie überlebt Kunst in Zeiten von Krieg und Unterdrückung? Was kann Musik bewirken?