Minenunglück in der Türkei
14. Mai 2014DW: Das Grubenunglück in Soma hat die ganze Türkei in tiefe Trauer versetzt. Worin liegt der Grund für das Unglück?
Orhan Kural: Es ist noch nicht sicher, ob eine Explosion stattgefunden hat. Etwas ist mit dem Generator unten im Bergwerk passiert, es kam zum Stromausfall und es konnte kein Sauerstoff mehr in die Gänge geleitet werden. Die Arbeiter erhielten daher keine Frischluftzufuhr mehr. Sie haben zwar Sauerstoffmasken, aber die reichen höchstens für eine Stunde. Dann fängt der Überlebenskampf an.
Im Bergwerk ist auch ein Feuer ausgebrochen. Allein durch den Rauch sind bereits viele Menschen gestorben. Wegen des Feuers kann auch kein Sauerstoff eingeleitet werden, da es sich dadurch nur noch weiter ausbreiten würde. Es ist wirklich eine Zwickmühle. Wir müssen herausfinden, wer die Schuld an dem Unglück trägt und warum es zu einem Stromausfall kam. Ob es nun ein technischer Fehler war oder ob eine Person die Verantwortung trägt, ist noch nicht sicher. In einem Bergwerk dürfen keine Fehler passieren, denn die Folgen sind dramatisch. Uns tut das Unglück sehr leid. Es ist ein schwarzer Tag für den türkischen Bergbau und vor allem für die Bergarbeiter. Ich bin sehr traurig.
Welchen Ruf hat das Bergwerk in Soma in Expertenkreisen?
Das Bergwerk ist das größte private Kohlebergwerk der Türkei. Es hat einen sehr guten Ruf. Das Bergwerk lag zunächst in den Händen der türkischen Regierung und türkischer Kohleunternehmen, aber vor fast zehn Jahren wurde es dann dem privaten Sektor übergeben. Erst vor Kurzem hat dort eine Inspektion stattgefunden und alles war in bester Ordnung. Es wird regelmäßig kontrolliert und die technischen Geräte, die im Bergwerk zum Einsatz kommen, gehören zu den besten. Auch die Ingenieure der Grube in Soma zählen zu den besten und erfahrensten der Welt. Ich habe das Bergwerk selbst oft besucht. Unsere Fakultät hat immer wieder Studenten zu Übungszwecken und Recherchen dorthin geschickt. Ich konnte es überhaupt nicht glauben, als ich von dem Unglück erfuhr. Es ist ein sehr solides Bergwerk. Es ist nur 400 Meter tief, hat aber vier Kilometer lange Gänge. Die Arbeiter halten sich nun überall in den Gängen auf und sind eingeschlossen. Es ist sehr schwer, sie zu erreichen.
Minenunglücke passieren in der Türkei immer wieder. Wie gefährlich ist die Arbeit in einem Bergwerk und wie ist die Türkei in Bezug auf Sicherheit im internationalen Vergleich aufgestellt?
Kohlebergwerke bergen immer Gefahren. In den USA, Indien, China, Russland und in vielen anderen Ländern ist es bereits zu Explosionen und anderen Unglücken gekommen. Die Türkei ist ein Land, das sich dem Kohlebergbau verschrieben hat. Es ist eines der wichtigsten Länder in diesem Sektor. Wir schöpfen unsere Energie aus der Kohle, sonst wären wir verstärkt auf Importe aus anderen Ländern angewiesen und das wäre sehr kostspielig. Wir können diesen Sektor also nicht aufgeben, obwohl er so gefährlich ist. Das Ingenieurwesen des Bergbaus der Türkei schneidet im internationalen Vergleich hervorragend ab. Die Fakultät für Bergbau an der Technischen Universität in Istanbul gehört zu den größten weltweit. Unsere Ausbildung in dem Bereich ist überdurchschnittlich. Ich war bereits in unzähligen Bergwerken der Welt. Die Bedingungen in den türkischen Minen entsprechen internationalen Standards. Doch es können immer Fehler passieren, Fehler sind menschlich.
Die eingeschlossenen Arbeiter sind giftigem Kohlenmonoxid ausgesetzt. Wie groß sind die Überlebenschancen der Verschütteten?
In amerikanischen Filmen gibt es diese berühmte Szene, wo sich jemand in der Garage einschließt und das Auto anlässt. Kohlenmonoxid ist ein sehr gefährliches Gas. Man spürt es überhaupt nicht, aber man wird müde, schläft ein und stirbt. Wir hoffen aber immer noch, dass so viele Menschen wie möglich gerettet werden können. Die Hoffnung stirbt schließlich zuletzt.
Prof. Orhan Kural ist Dekan der Fakultät für Bergbau an der Technischen Universität in Istanbul und gilt in der Türkei als einer der bedeutendsten Experten auf dem Gebiet.