Öcalan sieht "letzte Chance" für Friedensprozess
21. März 2015Als der Chef der kurdischen Arbeiterpartei PKK am 15. Februar 1999 von türkischen Agenten in Kenia festgenommen wurde, rechneten viele mit einem kurzen Prozess und einer Hinrichtung im Schnellverfahren. Aber Abdullah Öcalan flehte um Gnade und gelobte, seine Gruppe zu entwaffnen. Deren Kampf gegen den türkischen Staat hatte seit 1984 mehr als 40.000 Menschen das Leben gekostet.
An diesem 21. März, nach 15 Jahren Gefangenschaft in einem Insel-Gefängnis im Marmara-Meer, wird Öcalan sein Versprechen, das ihm das Leben gerettet hat, möglicherweise einlösen - oder dem näher kommen als je zuvor.
Während Millionen Menschen in der überwiegend kurdischen Stadt Diyarbakir zum Frühlingsfestival von Newroz zusammenkommen, sollen kurdische Politiker einen Brief von Öcalan verlesen, der die PKK-Kämpfer auffordert, sich vom türkischen Territorium zurückzuziehen.
Diese Erklärung sei eine "letzte Chance" für die Kurden, um mit dem türkischen Staat Frieden zu schließen, sagte Pervin Buldan, ein erfahrener kurdischer Vermittler, in dieser Woche der türkischen Presse.
Leutnants im Feld
Öcalans Aufruf wird alles andere als bedingungslos sein. Seine Leutnants in den irakischen Kandil-Bergen werden im Laufe des Jahres einen Kongress veranstalten, um die Details der Entwaffnung festzuzurren.
Die Friedensgespräche werden durch den Krieg im benachbarten Irak und in Syrien beeinträchtigt, wo Hunderte PKK-Mitglieder im Kampf gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) ums Leben gekommen sind.
"Militäroperationen aus dem Irak nach Syrien zu verlegen, ist schwierig, aber möglich", sagt Sinan Ulgen, ein ehemaliger türkischer Diplomat, der für das Institut Carnegie Endowment for International Peace arbeitet, im Gespräch mit der DW. "Und die PKK will bestimmt keinen Kampf in der Türkei, so lange sie im Irak und in Syrien kämpft."
Die Türkei betrachtet die PKK zwar als Terrororganisation. Aber seit zwei Jahren gibt es einen Waffenstillstand mit den Aufständischen, und im vergangenen Jahr wurde eine Gesetzgebung verabschiedet, die Friedensgespräche legalisiert.
Erdogan: Kein Kurden-Problem
Trotz dieser Fortschritte werden viele Kurden am Samstag das Gefühl einer Wiederholung haben, wenn Öcalans Erklärung verlesen wird. Denn bei den Newroz-Feierlichkeiten 2013 in Diyarbakir lasen kurdische Politiker einen 20-seitigen Brief des Guerilla-Führers vor, der auf ähnliche Weise für ein Ende des bewaffneten kurdischen Kampfes warb.
PKK-Kämpfer begannen noch im gleichen Jahr, sich aus der Türkei zurückzuziehen. Sie kehrten aber wieder um, als sich Ankara weigerte, eine Reihe von pro-kurdischen Reformen zu erlassen.
Auch diesmal haben Kurden mit Blick auf Ankaras Reform-Zusage Bedenken angemeldet. Am 15. März erklärte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in einer Rede, dass es "nie ein Kurden-Problem in diesem Land" gegeben habe. Für die Spaltung zwischen Türken und Kurden machte er "internationale Bemühungen" verantwortlich.
Diese Behauptung hat Abgeordnete der pro-kurdischen "Demokratischen Partei der Völker" (HDP) empört. "Wie kann man verhandeln, wenn man sich weigert zuzugeben, dass es ein Problem gibt?" fragt Ertugul Kurkcu, ein Vertreter der HDP.
Erdogans Worte seien womöglich Taktik, um vor der türkischen Parlamentswahl im Juni nationalistische Stimmen zu gewinnen, meint Ulgen vom Institut Carnegie Endowment for International Peace. Als türkischer Ministerpräsident war Erdogan 2005 der erste politische Anführer, der öffentlich von einem "Kurden-Problem" sprach und zugab, dass der Staat im Umgang mit den Kurden "Fehler" gemacht habe.
Krisenherd Kobane
Aber das kurdische Misstrauen Erdogan gegenüber erreichte neue Ausmaße, als Kämpfer der Terrormiliz "Islamischer Staat" im Oktober die syrisch-kurdische Grenzstadt Kobane belagerten.
Ankara war nicht bereit, sich einem von den USA angeführten Kampf zum Schutz der Stadt anzuschließen. Kämpfer, die der PKK nahestanden, wurden von Erdogan als "die gleichen wie die vom IS aus türkischer Sicht" denunziert. Mehr als 40 Menschen starben noch im selben Monat im kurdischen Aufstand.
Seitdem haben sich die Spannungen wieder etwas gelöst - auch, weil Ankara kurdischen Kämpfern aus dem Irak erlaubte, über die Türkei nach Kobane zu reisen, und der IS sich im Januar aus der Stadt zurückzog. Als Zeichen des guten Willens hat die türkische Regierung versprochen, die zerstörte Stadt wiederaufzubauen und 200.000 kurdischen Flüchtlingen bei ihrer Heimkehr nach Syrien zu helfen.
Wenn die kurdische Wut über Kobane geschrumpft ist, wurde sie ersetzt durch Unbehagen über Erdogans politische Ambitionen. Er hofft, dass seine Partei im Juni genug Sitze gewinnt, um einseitig die Verfassung zu ändern und das Amt des türkischen Präsidenten zu stärken, das er seit August 2014 innehat.
“Herr Recep Tayyip Erdogan, so lange wie es die HDP gibt, so lange wie HDP-Mitglieder in diesem Land atmen, werden Sie das Amt des Präsidenten nicht stärken”, schwor der Vizepräsident der Partei, Selahattin Demirtas, diese Woche in einer Rede.
"Politik muss Friedensprozess vollenden"
Ob es Demirtas Partei gelingt, im Juni Wähler zu mobilisieren, wird sowohl für das Schicksal des Friedensprozesses als auch für Erdogans politische Ambitionen entscheidend sein.
Zum Erstaunen ihrer Kritiker und Unterstützer will die HDP dieses Jahr formal als Partei an der Wahl teilnehmen, was bedeutet, dass sie zehn Prozent der nationalen Wählerstimmen gewinnen muss, um zur Wahl zugelassen zu werden. Die Partei, die bei der Präsidentenwahl im vergangenen Jahr 9,8 Prozent der Wählerstimmen erhielt, ist diese Hürde bislang dadurch umgangen, dass sie unabhängige Kandidaten ins Rennen schickte.
Wenn die Kurden diese Schwelle überwinden, werden sie im Parlament bleiben und weiterhin für den Friedensprozess verhandeln. Wenn sie allerdings verlieren, werden sie dem Parlament nicht länger angehören und dadurch womöglich Erdogans Präsidentschaft stärken.
Sollten die Kurden nicht länger im Parlament vertreten sein, könnte das dazu führen, dass sie ihr eigenes Regionalparlament in Diyarbakir einführen, spekuliert Ulgen. "Das würde den Friedensprozess zwar nicht beenden, aber es wäre ein sehr düsteres Szenario", sagte er. Ein Grund, warum Frieden von mehr abhängt als von Öcalans 15 Jahre altem Versprechen, die Gruppe zu entwaffnen, die in seinem Namen kämpft. "Öcalan kann den Prozess der Entwaffnung beginnen", sagt Krukcu von der HDP. "Aber die Politik muss diesen Prozess vollenden."