"Dieser Krieg ist nicht unser Krieg"
29. April 2023Stella Gaitano gilt als wichtige Stimme für ihre Landsleute. In ihren - auf arabisch verfassten - Kurzgeschichten, Romanen und journalistischen Artikeln hat sie mehr als 20 Jahre lang die Folgen von Krieg und Vertreibung beschrieben. Sie hat Ungerechtigkeiten angeprangert und nicht zuletzt Gier und Machtgehabe militärischer Führer entlarvt. "Es ist mein Schicksal", sagt sie im DW-Gespräch, "dass ich das jetzt alles wieder erleben muss."
Seit Tagen halten die Kämpfe zwischen den Truppen rivalisierender Generäle im Sudan an. Hunderte Menschen starben. Viele Staaten, darunter auch Deutschland, haben ihre Landsleute aus der Gefahrenzone evakuiert. "Ich habe immer noch meine Familie dort, halte Kontakt zu meinen Freunden", sagt Stella Gaitano, die zur Zeit als Stipendiatin des PEN-Programms "Writers in Exile" im nordrhein-westfälischen Kamen lebt. Hier fühlt sie sich sicher.
Schon Gaitanos Kurzgeschichtensammlung "Verwelkte Blumen" (2002) schilderte das Schicksal von Menschen, die vor den mörderischen Konflikten im Süden des Sudan, in Darfur und den Nuba-Bergen fliehen mussten, bevor sie bei Khartum in Flüchtlingscamps landeten. "Vertreibung ist wirklich eine sehr harte Erfahrung. Du musst Dein Leben retten, einfach irgendwohin fliehen, wo Du in Sicherheit bist", sagt die 44-Jährige. "Aber zum Leben gehört mehr – und sei es nur Wasser, Essen und Medikamente."
2011 kam es zur Abspaltung des Südsudan vom Sudan. Aufgrund ihres Aktivismus wurde Stella Gaitano zur Zielscheibe nationalistischer und tribalistischer Kreise. In den sozialen Medien war sie Hetze und Drohungen ausgesetzt. Nach tätlichen Angriffen verließ sie 2021 ihre Heimat. Seit Juli letzten Jahres lebt Stella Gaitano in Deutschland.
Sakin: "Nicht unser Krieg!"
"Dieser Krieg ist nicht unser Krieg", sagt Gaitano. Das meint auch Abdelaziz Baraka Sakin: "Das ist nicht der Krieg des sudanesischen Volkes, sondern ein Kampf zwischen einigen Generälen um Reichtum und Macht!" Auch Sakin ist Schriftsteller, der meistgelesene im Sudan. Spätestens sein Buch "Der Messias von Darfur" (2012) über den dortigen Völkermord und die Diktatur des früheren Machthabers Omar al-Bashir hat ihn international bekannt gemacht. Seit 2012 lebt Sakin im Exil in Österreich. Für die Saison 2022/23 wurde er mit dem Literaturpreis "Stadtschreiber von Graz" ausgezeichnet.
Warnung vor Ausweitung des Konflikts
Sakin glaubt nicht, dass die Waffen bald schweigen werden. "Ich hoffe, ich liege falsch." Denn am meisten fürchtet er, dass Außenstehende in den Konflikt eingreifen, ihn verkomplizieren und verlängern könnten - die Russen, die Amerikaner, europäische, arabische Staaten oder Nachbarländer. Keine der sudanesischen Konfliktparteien sei stark genug, den Krieg alleine zu führen. "Wenn sie keine Unterstützung von außen bekommen, wird der Krieg in kürzester Zeit von selbst aufhören", sagt Sakin.
"Als ich damals mein Buch geschrieben haben, wollten mir viele Leute nicht glauben, weil der Krieg in Darfur und im Südsudan weit weg war." Viele hätten seine Schilderungen für Fantasie gehalten, nur die Regierung Sudans nicht: Die verbannte ihn. "Heute wissen alle, dass ich recht hatte." Abdelaziz Baraka Sakin ist einer der wichtigsten zeitgenössischen Autoren des Sudan. In seinen Werken mischt er gekonnt Fakten mit Fiktion. Er eröffnet ein breites Panorama der Konfliktregion am Rande der Sahara, immer fokussiert auf das Leid der Opfer. Künstler wie Sakin, die sich für einen demokratischen Wandel, für Gerechtigkeit und ein wirksames Rechtssystem einsetzen, geraten im Sudan zwangsläufig zwischen die Fronten.
Treibende Kraft des gesellschaftlichen Wandels im Sudan ist auch die Künstlerin Amna Elhassan, deren Werke zu Beginn des Jahres in einer Schau der Frankfurter Schirn-Kunsthalle zu sehen waren. "Charakteristisch ist ihre Arbeit in Ebenen. Schicht um Schicht bringt sie ihre Motive auf Leinwand und Papier", erklärte die Ausstellungskuratorin Larissa-Diana Fuhrmann. "Mit dieser Vielschichtigkeit legt sie die komplexe Realität im Sudan und den Kampf um Emanzipation und Befreiung offen." Dabei bezog Elhassan auch Graffiti mit ein als Hinweis auf die Proteste auf der Straße.
Konzentrierten sich die Kampfhandlungen anfänglich auf das Hauptquartier der Armee, den Präsidentenpalast und den internationalen Flughafen der Hauptstadt Khartum, so geraten jetzt offenbar die Museen ins Visier der Kämpfer. Das 1971 gegründete Sudanische Nationalmuseum, das Schätze der nubischen Archäologie beherbergt, sei beschossen worden, zitiert "The Art Newspaper" einen in Khartum lebenden Künstler. Das Ausmaß der Schäden sei noch unklar. "Die Museen werden nicht mehr bewacht, um sie vor Plünderungen und Vandalismus zu schützen", berichtete zudem Sara Saeed, die Direktorin des Sudanesischen Naturkundemuseums, in einer Erklärung an die Internationale Museumsvereinigung ICOM, wie das Blatt berichtet.
Maximilian Röttger, Leiter des Goethe-Instituts im Sudan, erinnert an die Aufbruchstimmung nach der Revolution 2019, als Zehntausende Menschen vor dem Militärhauptquartier in Khartum demonstrierten. Bevor die Gewalt jetzt wieder ausbrach, befand sich der Sudan auf dem Weg von der Militärherrschaft und hin zu einer demokratischen Regierungsform. Wegen der Kämpfe wurde Röttger vor wenigen Tagen mit einer Bundeswehrmaschine von Khartum nach Deutschland ausgeflogen, zusammen mit rund 200 anderen Deutschen.
Rückschlag auf dem Weg zur Demokratie
Kunst und Kultur, sagt er im DW-Interview, hätten in der Übergangsphase eine wichtige Rolle gespielt. Kunstschaffende wie die Künstlerin Amna Elhassan hätten sich mit Texten, Filmen und Kunstwerken beteiligt. Das Goethe-Institut begleitete diesen Dialog, indem es die Kulturszene vernetzte und für die notwendigen Räume sorgte. "Unsere Arbeit ist und war richtig und gut”, betont Röttger. "Aber natürlich wirft die jüngste Entwicklung den Transformationsprozess weit zurück."
Wäre Abdelaziz Baraka Sakin der Präsident des Sudan, er würde als erstes alle Waffen einsammeln lassen. Es gebe zu viele Milizen. "Niemand kann seines Lebens sicher sein." Seiner Ansicht nach gehört auch die Wirtschaft neu geordnet: "Eigentlich ist der Sudan ein reiches Land. Wir haben genug Gold, Erdöl, Land und andere Ressourcen. Aber unsere Führer nutzen alles zu ihrem eigenen Vorteil." Sakin glaubt an die Kraft der Worte, der Kunst und der Hoffnung: "Das ist das Einzige, was den Menschen jetzt bleibt."