1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Lachszucht in Chile belastet Umwelt und Fischer

27. August 2018

Der Ausbruch von hunderttausenden Lachsen aus der Zuchtfarm eines norwegischen Unternehmens im Süden Chiles hat die Aufmerksamkeit auf die Umweltprobleme der milliardenschweren Lachsindustrie gelenkt.

https://p.dw.com/p/33enS
Lachszuchtfarm von oben
Bild: Greenpeace

Hunderttausende Lachse sind aus einer Zuchtfarm des norwegischen Unternehmens Marine Harvest auf der Isla Huar in der Nähe von Puerto Montt im Süden Chiles ausgebrochen. Zunächst war die Rede von 900.000 Lachsen, danach korrigierte das Unternehmen die Zahl auf 690.000 Lachse. Marine Harvest zufolge war ein Unwetter die Ursache dafür, dass die Fische Anfang Juli aus ihren Käfigen ausbrechen konnten.

Es handelt sich um eine der größten Lachsfluchten, die Chile erlebt hat. "Es ist unglaublich, dass bei für den chilenischen Winter komplett normalen Klimabedingungen fast eine Million Lachse aus einer Zuchtfarm ausbrechen. Die einzige Erklärung dafür ist, dass das Unternehmen nicht die Mindeststandards erfüllt", erklärt Estefanía Gónzales, Meeresexpertin von Greenpeace Chile.

Gravierende Umweltfolgen durch die Lachsflucht

Marine Harvest ist der größte Zuchtlachskonzern der Welt und Chile ist neben Norwegen, Schottland und Kanada einer seiner wichtigsten Standorte. Dem Konzern wurde bereits mehrfach vorgeworfen, in Chile Lachsfarmen unter Missachtung ökologischer, rechtlicher, sozialer und medizinischer Standards, Richtlinien und Gesetze zu betreiben.

Die ökologischen Folgen des Lachsausbruchs sind gravierend. Ein großer Teil der Lachse in chilenischen Zuchtfarmen werden mit Antibiotika behandelt. Zahlen von Greenpeace zufolge wird ein Lachs in Chile mit einer 700-fach höheren Dosis Antibiotika behandelt als ein Lachs in Norwegen. Das liegt daran, dass der atlantische Zuchtlachs kein einheimisches Tier ist und ohne Medikamente in chilenischen Gewässern nicht überleben könnte.

Zuchtlachse sind größer und aggressiver als Wildlachse und ernähren sich von kleineren Fischen. Umweltorganisationen fordern deshalb, die ausgebrochenen Fische offiziell als Plage zu erklären. "Der natürliche Instinkt der Lachse ist es, die Flüsse hinaufzuschwimmen. Dort können sie zum Feind für die einheimischen Fische werden, die sie entweder auffressen oder mit Krankheiten anstecken", sagt Gónzales.

Estefanía Gonzáles
Estefanía Gónzales von Greenpeace: "Die einzige Erklärung ist, dass das Unternehmen nicht die Mindeststandards erfüllt.“Bild: Greenpeace

"Die Lachsunternehmen machen ihre eigenen Gesetze"

Es ist nicht das erste Mal, dass Lachse aus den Zuchtfarmen von Marine Harvest ausbrechen. Das Unternehmen verzeichnet die meisten Fischausbrüche in der Region. Zahlen des chilenischen Umweltministeriums zufolge sind in den letzten acht Jahren zwei Millionen Lachse aus den Zuchtfarmen von Marine Harvest ausgebrochen. Und meistens werden nur sehr wenige davon wieder eingefangen.

Dem chilenischen Gesetz zufolge hat ein Unternehmen 30 Tage Zeit um zehn Prozent der ausgebrochenen Fische wieder einzufangen, bevor es eine Strafe zahlen muss oder ihm die Lizenz entzogen wird. "Zehn Prozent ist ein symbolischer Wert, der nichts mit dem ökologischen Schaden zu tun hat, den die ausgebrochenen Lachse verursachen. Das zeigt, dass die Gesetze zum Vorteil der Lachsindustrie gemacht werden", kritisiert Juan Carlos Cárdenas, Tiermediziner und Direktor der chilenischen Nichtregierungsorganisation Ecoceanos, die sich für Meeresschutz einsetzt.

Als Marine Harvest nach 30 Tagen noch nicht einmal die Hälfte der erforderten Menge eingefangen hatte, verlängerte die chilenische Regierung die Frist auf 60 Tage. Um die Lachse schneller wieder einzufangen, bietet Marine Harvest den lokalen Fischern eine Zahlung von 7000 chilenischen Pesos, umgerechnet etwa zehn Euro, pro Lachs - tot oder lebendig.

"Diese Maßnahme ist gesetzeswidrig. Aber im Süden Chiles herrscht eine Art "Wild West" der Lachsindustrie. Die Lachsunternehmen machen ihre eigenen Gesetze. Der Staat hat weder das Personal, noch die Infrastruktur und die finanziellen Mittel um die Regulierungen zu überprüfen.", sagt Cárdenas. Außerdem sind Unternehmer aus der Lachsindustrie häufig in der Politik tätig, so zum Beispiel Felipe Sandoval, einst Staatssekretär für Fischerei und jetzt Präsident von Salmón Chile, dem größten Lachsindustrie-Verband.

New York Lachs Bagel
Sind diese Bagel aus New York vielleicht auch mit dem billigen chilenischen Zuchtlachs belegt?Bild: picture alliance/Photoshot

Kleine Fischer verlieren ihre Lebensgrundlage

Aber die Fischausbrüche sind nur ein Aspekt der Umweltprobleme, die die Lachsindustrie in Chile verursacht. Es gibt über 1000 Lachszuchtfarmen in Chile und das Land ist einer der weltgrößten Produzenten von Fischmehl, dem Hauptfuttermittel der Zuchtlachse. "Für eine Tonne Lachs werden drei bis fünf Tonnen anderer Meeresspezies benötigt, die zu Fischmehl verarbeitet werden. Von Nachhaltigkeit kann da niemand sprechen", sagt Gónzales von Greenpeace.

Tonnen von Fäkalien, Fischmehl und Chemikalien sinken täglich von den Zuchtkäfigen hinab auf den Meeresgrund. "Die Zersetzung dieser Stoffe führt zu Sauerstoffarmut und so entstehen regelrechte Wüsten auf dem Meeresgrund unter den Zuchtfarmen", erklärt Cárdenas.

Eine weitere Folge der Sauerstoffarmut im Meer  - verursacht durch den Klimawandel und wahrscheinlich auch durch die Lachsindustrie - war 2016 eine dramatische Algenblüte, die sogenannte "Marea Roja", die zum Sterben tausender Muscheln, Krebse, Fische und Seehunde rund um die Insel Chiloé führte.

Die Fischer machten auch die Entsorgung hunderttausender Tonnen toter Lachse in der Nähe von Chiloé dafür verantwortlich, darunter auch Lachse von Marine Harvest. Die toten Lachse verpesteten das Wasser, tausende kleine Fischer verloren ihre Arbeit.

Lachszuchtfarmen im Süden Chiles
Pazifisches Idyll: Aus größerer Entfernng kann man die schädlichen Umweltfolgen nicht einmal erahnen.Bild: Greenpeace

"Die ausgebrochenen Lachse, die Fischmehlproduktion und die Wasserverschmutzung durch chemische Mittel der Lachsindustrie stellen eine Gefahr für die einheimischen Spezies dar. Und die sind die Lebensgrundlage für die lokalen Fischer", sagt Álvaro Montaña, Mitglied der Bürgervereinigung "Defendamos Chiloé" ("Lasst uns Chiloé verteidigen").

Umweltorganisationen rufen zum Boykott von chilenischem Lachs auf

Nach Norwegen ist Chile der zweitgrößte Lachsproduzent der Welt. Lachse sind nach Kupfer der größte Exportartikel des südamerikanischen Landes. 98 Prozent der Produktion werden exportiert, der Großteil nach Japan, China, Brasilien, in die USA und nach Europa.

"Die Lachsindustrie bringt der chilenischen Bevölkerung keinerlei Vorteile. Die einzigen Gewinner sind die transnationalen Unternehmen. Der günstige Preis, für den die Konsumenten in Europa den Lachs kaufen, spiegelt nicht die realen Kosten der Produktion wieder, die von der Umwelt, den Fischern und den Arbeitern in Chile getragen werden", sagt Cárdenas von Ecoceanos.

Die Umweltorganisationen in Chile rufen deshalb zu einem Boykott von chilenischem Lachs auf. Sie fordern stärkere Regulierungen der Lachszucht in Chile, höhere Strafen für die Unternehmen, die Umwelt- und Sozialstandards missachten und die Entziehung der Lizenz von Marine Harvest.