Lagarde fordert baldige Kapitalmarktunion
20. November 2020Im Mozartsaal der Alten Oper in Frankfurt hatte heute der 30. "European Banking Congress" stattfinden sollen. Doch wegen der Pandemie blieben Mozart und die Frankfurter Oper nur virtuelle Gastgeber, denn der Kongress findet in diesem Jahr ausschließlich digital statt.
In ihrer Eröffnungsrede setzte EZB-Präsidentin Christine Lagarde (Artikelbild) den ersten Schwerpunkt. Europas oberste Währungshüterin drängte auf Fortschritte bei der Vereinheitlichung von Finanz- und Kapitalmärkten auf dem Kontinent: "Wenn wir wollen, dass nach der Pandemie neue, innovative Unternehmen entstehen, müssen die Regierungen Hindernisse für sie beseitigen", mahnte Lagarde vor zahlreichen weiteren Rednern aus Banken, Industrie und Politik.
Umsetzung nach fünf Jahren
In der Welt nach der Pandemie sei der Abschluss der Kapitalmarktunion kein Kann, sondern ein Muss. Bei dem Projekt geht es im Kern darum, bürokratische Hürden zwischen den einzelnen Staaten der Europäischen Union abzubauen, um so Unternehmen mehr Möglichkeiten zu geben, sich Geld zu beschaffen. Verbraucher sollen zudem mehr Möglichkeiten für grenzüberschreitende Geldanlagen bekommen. Kredite und Finanzierungen werden in Europa - im Gegensatz etwa zu den USA - hauptsächlich von Banken vergeben.
Pläne der EU-Kommission für eine Kapitalmarktunion liegen seit September 2015 auf dem Tisch, doch die Umsetzung stockt. Im September des laufenden Jahres legte Brüssel einen neuen Aktionsplan vor, um die Vereinheitlichung von Finanz- und Kapitalmärkten voranzutreiben. Die EU-Kommission will unter anderem Investitionen sowie die Besteuerung von Kapitalerträgen im EU-Ausland vereinfachen. Das Insolvenzrecht soll angeglichen werden.
Die Fragmentierung der Finanzmärkte in Europa sei ein Grund dafür, dass die Anschubfinanzierung für junge Unternehmen oft schwierig sei, sagte Lagarde. "Die Finanzierung von Technologien mit hohem Risiko ist viel effektiver, wenn es einen größeren Strom neuer Projekte gibt, um die Tatsache zu kompensieren, dass die meisten von ihnen scheitern werden."
Klimafreundlichere Investments?
Christine Lagarde kündigte an, dass die von ihr geführte Europäische Zentralbank eine aktivere Rolle beim Kampf gegen die globale Erwärmung spielen wird. Auch bei der laufenden Strategieüberprüfung der Notenbank spielt das Thema eine wichtige Rolle. EU-Abgeordnete hatten in der Vergangenheit der EZB vorgeworfen, dass sie bei ihren Käufen von Firmenanleihen klimaschädliche Investments bevorzuge.
Bundesbank-Präsident Jens Weidmann warnte jedoch davor, in der Geldpolitik aktiv klimapolitische Ziele zu verfolgen. Denn dann könne es zu Konflikten mit dem vorrangigen Ziel der Notenbank - der Sicherung von Preisstabilität - kommen, sagte er am Freitag.
Aus Sicht von Weidmann könnte eine aktive Rolle in der Klimapolitik die Unabhängigkeit der Notenbank untergraben und schließlich auch ihre Fähigkeit, für stabile Preise zu sorgen. "Zentralbank-Unabhängigkeit ist eine Verpflichtung, fokussiert zu bleiben auf unser vorrangiges Ziel", sagte er.
Vorstellen kann sich der Bundesbank-Chef aber, dass die Währungshüter künftig nur solche Wertpapiere kaufen oder als Sicherheiten akzeptieren, bei denen ihre Emittenten bestimmten klimabezogenen Berichtspflichten nachkommen. Zudem könnten sie erwägen, nur Ratings von Agenturen zu verwenden, die klimabedingte Finanzrisiken angemessen berücksichtigen.
Große Einigkeit beim Klima
Aus Sicht von Frankreichs Notenbank-Gouverneur Francois Villeroy de Galhau liegen die europäischen Währungshüter beim Thema Klimawandel weit weniger auseinander als manchmal angenommen wird. Bei der Antwort auf den Klimawandel könnten Zentralbanken nicht die einzigen Akteure sein, sagte das Ratsmitglied der Europäischen Zentralbank. "Aber wir müssen beitragen, und glauben Sie mir, es gibt bei dem Thema eine größere gemeinsame Basis in unserem EZB-Rat als manchmal gesagt wird." Die Notenbank müsse sich mit dem Klimawandel allein schon aufgrund ihres Mandats zur Sicherung der Preisstabilität beschäftigen.
Der Verwaltungsratschef der französischen Bank BNP Paribas, Jean Lemierre, betonte ebenfalls, Banken könnten grüne Finanzierungen nicht ignorieren. "Der Fokus auf Nachhaltigkeit ist dramatisch gestiegen", sagte er. Banken müssten diese Themen weit oben auf ihre strategische Agenda setzen.
Riesiger Appetit der Investoren
Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing baut beim Wandel zu einer grüneren Wirtschaft auf alle Marktteilnehmer. Banken könnten den Umbau zu einer ökologischeren Wirtschaft nicht alleine finanzieren, so Sewing, auch andere - Unternehmen, Politik und Aufsicht - müssten ihren Teil dazu beitragen. "Es gibt viel Kapazität bei uns Banken, diese Transformation zu finanzieren. Aber die Transformation ist gigantisch."
Die Deutsche Bank und auch viele andere Institute haben sich Kriterien für ESG - Environmental, Social and Governance, also Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung - auferlegt, um Investoren oder Kreditnehmern spezielle Produkte wie Anleihen anbieten zu können. "Der Appetit von Investoren auf solche Produkte ist riesig", sagte Sewing.
Unterstützung für Kapitalmarktunion
Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank warnte in diesem Zusammenhang vor Belastungen der Geldhäuser durch schärfere Kapitalvorgaben wie Basel III und den Beiträgen zum europäischen Bankenrettungsfonds. "Wir brauchen eine ausbalancierte Regulierung, damit wir nicht nur die Pandemie bekämpfen, sondern auch die künftige Transformation begleiten können", sagte er.
Sewing setzt auf Fortschritte bei der europäischen Kapitalmarktunion, auch um den Umbau zu einer grüneren Wirtschaft zu finanzieren. Experten hatten sich unter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft hier mehr Fortschritte erhofft. Der Chef der größten deutschen Bank zeigte sich optimistisch. Es sei klar, dass im Moment die Bekämpfung der Pandemie Vorrang genieße. "Ich denke jedoch, dass die Unterstützung für die Kapitalmarktunion größer und größer wird."
dk/hb (rtr, dpa)