Die Welt muss besser essen
21. November 2014Mexiko will eine Steuer auf fetthaltige Lebensmittel erheben. In den USA werden überzuckerte Getränke mit Abgaben belegt, um das zunehmende Übergewicht von Millionen Menschen in den Griff zu bekommen. Der Verband der elf großen Lebensmittelkonzerne lehnte solche Steuern in Rom vehement ab. Der deutsche Agrarminister Christian Schmidt ist ebenfalls gegen neue Regulierungen und Bevormundung der Verbraucher. Schmidt will lieber die bäuerliche Landwirtschaft fördern, sowohl im reichen Norden als auch in den weniger entwickelten Ländern. Das war nur einer der vielen Diskussionsstränge auf der Welternährungskonferenz in Rom, die am Freitag zu Ende ging.
Was gegen Überernährung, also Fettleibigkeit, und vor allem das größere Problem der Unterernährung in Afrika und Asien getan werden muss, sind ungelöste Fragen und Probleme, auch nach den Reden von 170 Regierungsvertretern. Viele Diskussionsbeiträge hörten sich ähnlich unverbindlich an, wie der von Gesundheitsministerin Jean Kalilani aus Malawi: "Im Bereich der Ausformung der Politik hat Malawi das Thema Ernährung ganz oben auf die Tagesordnung gesetzt. Wir haben es in das übergeordnete Ziel der Entwicklung Malawis für die Zeit bis 2016 aufgenommen. Es hat höchste Priorität bei den Investitionen der Regierung." Wie Ministerin Kalilani aus Malawi räumten viele Vertreter der von Hunger und Fehlernährung betroffenen Staaten ein, dass die Probleme eigentlich nicht zu akzeptieren seien. Viele betonten aber, das sie auch schon Fortschritte gemacht hätten. Konkrete Verpflichtungen für die Zukunft ging kaum jemand ein. Der neue EU-Kommissar für Entwicklungspolitik, Neven Mimica, fasste seine Eindrücke von der Ernährungskonferenz so zusammen: "Viele haben versucht, die Ernährung weiter oben in der politischen Prioritätenliste anzusiedeln. Das ist ermutigend, aber das ist nicht genug. In Ländern, in denen eines von zwei Kindern im Wachstum unterentwickelt ist, muss die Ernährung der zentrale Kern aller Politik sein."
"Hunger ist nicht hinzunehmen"
Die Europäische Union, versprach Mimica, werde in den nächsten Jahren 3,5 Milliarden Euro für die Bekämpfung des Hungers in den Entwicklungsländern ausgeben. Dabei handelt es sich allerdings nicht um frisches Geld, sondern um längst im Haushalt der EU eingeplante Posten. Mimica kündigte an, die EU werde sich vor allem auf das Schicksal der Kinder konzentrieren, die von Hunger und zu einseitiger Ernährung betroffen seien. "Unterernährung plagt 161 Millionen Kinder. Das ist ein Viertel aller Kinder in der Welt und das sind 161 Millionen Kinder zuviel. Das kann man nicht hinnehmen. Selbst ein hungriges Kind wäre nicht akzeptabel. Das können wir in einer Welt mit enormen Wohlstand und Wissen einfach nicht tolerieren."
Die in Rom unter Führung der beiden UN-Agenturen für Ernährung (FAO) und Gesundheit (WHO) versammelte Weltgemeinschaft versprach, in den nächsten Jahren ein 60 Punkte umfassendes Aktionsprogramm abzuarbeiten. Ein konkreter Zeitplan oder gar Kontrollen wurden aber nicht beschlossen.
Sichere Lebensmittel und Ebola
Beim Thema Ernährung geht es nicht nur um die Kalorien, also die Quantität, sondern auch um die Qualität und die Sicherheit der Lebensmittel, mahnte die Chefin der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Margaret Chan. Was sie damit meint, zeigt ein Blick nach Liberia, wo zurzeit die Ebola-Epidemie wütet. Ebola stammt ursprünglich von Fledermausarten und Affen und wurde wahrscheinlich durch den Verzehr von gejagten Tieren aus dem Busch auf den Menschen übertragen. Der stellvertretende Gesundheitsminister von Liberia, Charles McClain, sagte in Rom, das Ernährungsverhalten müsse geändert werden. "Wegen der Situation bei Busch-Fleisch haben wir uns für die Aufzucht von Geflügel, Fisch und Schweinen eingesetzt. Damit hoffen wir, einen Beitrag zu mehr Sicherheit bei Nahrungsmitteln leisten zu können."
Die Seuche Ebola wirkt sich umgekehrt auf die Produktion von Nahrungsmitteln aus, da Felder nicht bestellt oder abgeerntet werden. Die Wirtschaft des Landes leide, so der stellvertretende Gesundheitsminister. Schulen mussten geschlossen werden. "Die Schulspeisungsprogramme, die vom Welternährungsprogramm (WFP) durchgeführt werden, wurden vorübergehend eingestellt. Deshalb bekommen 127.000 Schulkinder keine ausgewogenen Mahlzeiten und spüren die negativen Folgen." Liberia, so der Schluss von Charles McClain, werde noch jahrelang Hilfe brauchen, um die Folgen für die Ernährung der Menschen abzumildern. Heute sind 32 bis 40 Prozent der Kinder zu klein und zu leicht für ihr Alter. Körperliche und geistige Defizite sind die Folgen. Die FAO schätzt, dass die wirtschaftliche Leistungskraft vieler afrikanischer und asiatischer Staaten um 20 Prozent wachsen könnte, wenn die Kinder nicht durch zu wenig oder unausgewogene Nahrung krank würden.
Ein Herz für Kleinbauern
Nahrungsmittelsicherheit und Ausgewogenheit des Essens sind aber auch in Europa ein Thema. Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt will sich gegen Wachstumsbeschleuniger und Hormone in der Tiermast einsetzen. Auch die Massentierhaltung mit dem übermäßigen Einsatz von Antibiotika ist ihm ein Dorn im Auge. Da würden noch enige Konflikte mit den USA und großen Agrar-Konzernen lauern, so Schmidt, auch mit Blick auf das Freihandelsabkommen TTIP mit den USA. In Rom betonten viele Redner, dass die bäuerliche Landwirtschaft gestärkt werden müssen. Lebensmittel müssten lokal produziert und verzehrt werden. Agrarerzeugnisse seien keine normalen Industrieprodukte, die man an Finanzmärkte handeln könne, sondern hätten einen Wert an sich. Das hatte auch Papst Franziskus am Donnerstag in seiner Rede angemahnt. Vertreter der Agrarindustrie warnten in Rom aber vor zu großer Landwirtschafts-Romantik. Die notwendigen Mengen an Getreide ließen sich weltweit nicht mehr auf kleinen und kleinsten Äckern erzeugen. Der Papst hatte auch Überfluss und Verschwendung von Lebensmitteln in den Industriestaaten gegeißelt. Vertreter der EU-Staaten versprachen, das Problem beherzter anzugehen.
Mehr Augenmerk soll auf die 1,5 Milliarden Menschen mit Übergewicht gelegt werden, die keineswegs nur in den reichen Staaten leben. Der Vertreter Panamas wies darauf hin, dass in seinem Land statistisch genauso viele Menschen unterernährt wie fettleibig seien. "Wir kämpfen an zwei Fronten", so Luis Vega vom Gesundheitsministerium in Panama. In den wohlhabenden Vereinigten Arabischen Emiraten sind 50 Prozent aller Erwachsenen bereits fettleibig. Auch Kinder und Jugendliche leiden zunehmend an Bewegungsmangel.
"Jetzt muss es konkret werden"
Bei der Welternährungskonferenz wurden viele Probleme aufgezeigt und erste Diskussionen auch mit den 150 vertretenen Hilfsorganisationen und Verbänden angestoßen. Das sei schon einmal ganz positiv, meint Bernhard Walter von der Aktion "Brot für die Welt", einer Einrichtung der evangelischen Kirchen in Deutschland. "Ich denke, das Glas ist halbvoll und halbleer. Es war wichtig, dass das Thema der Mangelernährung einmal auf die internationale Agenda kommt. Aber das war nur ein erster Schritt und jetzt müssen wir gucken, wie es weitergeht. Es ist ganz wichtig, dass die Staaten jetzt Maßnahmen beschließen, umsetzen und auch mit Geldern ausstatten", sagte Bernhard Walter der DW in Rom. Im kommenden Jahr sollen die Vereinten Nationen die Forderungen und Aktionsplänen der zweiten Ernährungskonferenz übernehmen und eine Dekade gegen den Hunger ausrufen. "Insgesamt ist der Fortschritt eine langsame Schnecke", sagt Bernhard Walter.