Was macht Joe Biden mit Lateinamerika?
16. Januar 2021Zwei von drei Stimmen lateinamerikastämmiger Wähler gingen bei der Präsidentenwahl an Joe Biden. Doch nicht nur deshalb sind die Erwartungen an Joe Biden groß: Als Vizepräsident von Barack Obama war Biden dessen Mann für Lateinamerika, und schon zu Beginn des US-Präsidentschaftswahlkampfes hatte er deutlich gemacht, dass er der Lateinamerikapolitik wieder mehr Aufmerksamkeit schenken wolle. Experten erwarten von ihm vor allem einen kooperativeren Ansatz als den von Donald Trump: "Er wird sich wesentlich mehr für den Wohlstand der Region und ihre Fähigkeit engagieren, Probleme - wie Naturkatastrophen und das organisierte Verbrechen - selbst anzugehen", schreibt Michael Camilleri vom Washingtoner Think-Tank "The Dialogue".
Nun hat Joe Biden mit Juan Sebastián González einen gebürtigen Kolumbianer zu seinem "Nationalen Sicherheitsberater für die Westliche Hemisphäre" ernannt. Gemeinsam werden sie alle Hände voll zu tun haben, die Probleme der Region anzugehen. Dies sind nur einige der wichtigsten:
Migration kontrollieren
Zumindest vordergründig ist die Migration sicher das Lateinamerika-Thema, in dem sich der scheidende und der kommende Präsident am deutlichsten unterscheiden: Hier Donald Trump, der am liebsten jegliche Immigration in die USA unterbunden hätte, dort Joe Biden, der verspricht, sogenannten Dreamern - illegal als Kinder eingewanderte Menschen - die Möglichkeit zu geben, die US-Staatsbürgerschaft anzunehmen.
Doch das weit größere Problem für die USA wartet weiterhin südlich der Grenze zu Mexiko, wo Abermillionen von Menschen von einer besseren Zukunft im Norden träumen. Wer erwartet, dass Joe Biden ihnen den roten Teppich ausrollt, irrt. Das machten zwei seiner Berater Ende Dezember in einem schriftlichen Interview mit der spanischen Nachrichtenagentur EFE klar: "Die Migranten und Asylsuchenden sollten keinesfalls glauben, dass sich die Grenze plötzlich öffnet." Allerdings will Biden die Asylverfahren schneller abwickeln und mehr Antragsteller in USA lassen, als das unter Donald Trump geschah.
Zusätzlich will die kommende Regierung eher dem Motto "Fluchtursachen bekämpfen" folgen. Insgesamt vier Milliarden US-Dollar hat Joe Biden vorgesehen, um Regierungen in Mittelamerika zu helfen, Armut und Gewalt in den Griff zu bekommen. Die Hilfen sollen zielgerichtet ausgegeben werden und an rechtstaatliche Standards geknüpft sein.
Geld für Mittelamerika
Neben Mexiko hat Biden das "Nördliche Dreieck" - Guatemala, El Salvador und Honduras - mehrfach in den Fokus gerückt. In welches Dilemma seine Politik hier gerät, resümiert Harold Trinkunas von der US-Universität Stanford: "Die Regierung in Guatemala hat die UN-unterstützte Kommission gegen Korruption abgesetzt, die Regierung El Salvadors regiert zusehends autoritärer und der Präsident von Honduras wird beschuldigt, sich am internationalen Drogenhandel zu beteiligen."
Auch die Zusammenarbeit mit Mexiko dürfte nicht einfacher werden. Die "Umarmen-statt-Schießen-Politik" von Präsident Andrés Manuel López Obrador gegenüber den Drogenkartellen, deren Gewaltexzesse zahllose Mexikaner aus ihrer Heimat vertrieben haben, habe nicht gefruchtet, erklärt Shannon O'Neil vom US-Think-Tank Council on Foreign Relations im Podcast-Interview mit dem US-Magazin America's Quarterly. Zudem erschwere ein neues Gesetz in Mexiko die Sicherheits-Zusammenarbeit mit den USA.
Auch Stanford-Forscher Trinkunas sehr skeptisch, dass Bidens Migrationsstrategie aufgeht - insbesondere, nachdem ein ähnlicher Ansatz bereits unter Barack Obama fehlgeschlagen ist: "Ich sehe hier keine neuen Ideen, die wirklich Hoffnung machen würden."
COVID-19 überwinden
Das aktuell drängendste Problem ist wohl die Corona-Krise. Nicht nur die Krankheit selbst, auch die Gegenmaßnahmen vieler Regierungen und der geschwächte Welthandel haben die ohnehin taumelnde Wirtschaft vieler Länder zu Boden geschickt.
Ein größeres US-Konjunkturprogramm für die Region wird es sicher nicht geben, wohl aber medizinische Hilfe - insbesondere bei der Verteilung von Impfstoffen. Dabei gehe es den USA vor allem um zwei Dinge, meint Trinkunas: "Die USA betrachten Lateinamerika immer noch als wichtigen Handelspartner, außerdem könnte eine anhaltende Gesundheitskrise im Süden noch mehr Menschen Richtung Norden treiben."
Chuck Call, Lateinamerika-Experte der American University (AU) in Washington D.C., stellt noch einen weiteren Punkt heraus: "Hier geht es auch um eine Soft-Power-Rivalität mit China und Russland." Beide Staaten haben bereits angekündigt, Impfstoff zu liefern.
China die Stirn bieten
Den wachsenden Einfluss Chinas in Mittel- und Südamerika hat Joe Biden als Gefahr für die nationale Sicherheit bezeichnet. Den Grund dafür sieht er in einem Mangel an Führungsstärke der scheidenden Regierung. Was er dabei geflissentlich übersieht: Die Entwicklung hat bereits vor zehn Jahren eine enorme Dynamik entfaltet. Und auch während Bidens Vizepräsidentschaft taten die USA wenig, um sie zu bremsen.
Mittlerweile ist Mexiko das einzige große Land der Region, dass wirtschaftlich noch wirklich eng an die USA gebunden ist. Für den Rest der Region als Ganzes ist China der wichtigste Handelspartner. In einzelnen Ländern hängen die Staatsfinanzen massiv von Chinas Nachfrage ab. Ecuador etwa verkauft nahezu 100 Prozent seiner Ölexporte nach China.
Diese Macht könnte China, ähnlich wie in Afrika, nutzen, um Abstimmungen in UN-Gremien zu seinen Gunsten zu beeinflussen, deutet Experte Call an. Doch dem müsse man nicht tatenlos zusehen: "Donald Trump hat mit Handelsrestriktionen gezeigt, dass die USA weiterhin Einfluss nehmen kann." Außerdem sollte der Westen nach Calls Ansicht multi-laterale Finanzierungen - zum Beispiel vom Internationalen Währungsfonds und der Weltbank - nutzen, um Chinas Investitionen in die Infrastruktur der Region zu kontern.
Mit Venezuela umgehen
Perspektivlosigkeit, grassierende Kriminalität und Terror durch regierungstreue Schlägerbanden haben Millionen von Venezolanern aus dem Land getrieben. Die Migranten suchen zwar mehrheitlich Asyl bei den südamerikanischen Nachbarn, die Auswirkungen sind aber auch in den USA zu spüren. Hinzu kommt der Drogenhandel, der nach US-Auffassung unter direkter Beteiligung der Regierung aus den Andenländern über Venezuela Richtung Norden läuft.
Wie der gesamte Westen hat Joe Biden zum Ziel erklärt, die Demokratie in Venezuela wiederherzustellen. Die Frage ist nur: Wie? Schon unter George Bush haben die USA Mitglieder der damaligen Regierung von Präsident Hugo Chávez mit Sanktionen wegen Beteiligung am internationalen Drogenhandel belegt. Unter Barack Obama kamen Sanktionen wegen Verletzung der demokratischen Ordnung und der Menschenrechte hinzu. Donald Trump hat weitere Wirtschaftssanktionen gegen die Regierung einschließlich der staatlichen Ölgesellschaft PdVSA erhoben. Und - wie die EU - haben auch die USA die Opposition unterstützt - nicht nur, indem sie Parlamentspräsident Juan Guaidó als Interimspräsidenten anerkannt haben. "Wir haben vieles versucht, gewirkt hat eigentlich nichts", sagt Chuck Call und fügt resigniert hinzu: "Einfache Antworten gibt es jedenfalls nicht."
Normalisierung mit Kuba
Die Annäherung an Kuba unter Barack Obama galt vielen Beobachtern als vielversprechend. Unter Exilkubanern dagegen waren sie sehr umstritten, in Florida stimmten sie mehrheitlich für Donald Trump. Der hatte einen Teil der "Normalisierung" schon zu Beginn seiner Präsidentschaft rückgängig gemacht, wenige Tage vor Ende seiner Amtszeit hat er das Land zurück auf die Liste der Terrorunterstützer gesetzt.
Damit dürfte Biden es schwer haben, dort anzuknüpfen, wo die demokratische Regierung 2017 aufgehört hat, sagte John Kavulich, Präsident des "U.S.-Cuba Trade and Economic Council" der BBC, weil Trump als Grund unter anderem Kubas Verbindungen zu Venezuela angeführt habe: Aus dem Kongress könne daher sogar eher die Forderung kommen, auch Venezuela auf diese Liste zu setzen, als Kuba davon zu streichen, meint Kavulich.