Leben mit HIV
3. Dezember 2012"Die nächsten zwei bis drei Jahre verplane ich schon. Das ist realistisch, die Perspektiven sind anders als früher", sagt Manny. Es ist erstaunlich, wie oft die Wörter "Zukunft" und "Perspektive" in einem kurzen Gespräch mit einem HIV-Infizierten fallen. Früher habe er Zukunftsängste gehabt und gedacht, dass er keine 30 Jahre alt würde. "Ich habe damals im Hier und Jetzt gelebt", erinnert sich Manny, der vor 20 Jahren die Diagnose HIV-positiv bekam.
Damals war er 23 - "naiv, verliebt und blind", wie er sagt: "Ich war in einer Beziehung mit einem HIV-Positiven, und das wusste ich. Als mir mein Hausarzt dann die Diagnose mitteilte, habe ich das zunächst verdrängt", erzählt Manny. Erst ein halbes Jahr später, nach der Trennung von seinem Partner, habe er angefangen, sich Fragen zu stellen: "Was wird aus mir, aus meiner Zukunft?"
Aus ihm wurde ein engagierter Altenpfleger, das Gesicht einer bundesweiten Plakat-Kampagne zum Welt-Aids-Tag - und nicht zuletzt ein vorsichtiger Optimist.
Ein Wettlauf gegen die Zeit
In Deutschland leben heute schätzungsweise 78.000 von insgesamt rund 82 Millionen Menschen mit dem Humanen Immundefizienz-Virus (HIV). Das Virus schwächt das Immunsystem: Es gibt circa 30 Krankheiten, die im Zuge der Infektion ausbrechen und zu einer Aids-Erkrankung führen können. In der Regel spricht man von "Aids", wenn ein HIV-Infizierter zwei dieser Krankheiten bekommt.
"Vor 20 Jahren gab es so gut wie keine medizinische Behandlung der HIV-Infektion. Es gab einen einzigen Wirkstoff, der aber als Einzelwirkstoff nur sehr bedingte Erfolge zeigte, sprich die Überlebenszeit nur sehr geringfügig verlängerte", erklärt Ulrich Heide von der Aids-Stiftung in Bonn. Damals lag die durchschnittliche Überlebenszeit von Menschen, die an Aids erkrankt waren, zwischen 22 und 24 Monaten. Erst 1996 wurden sogenannte Kombinationspräparate eingeführt, die auf unterschiedliche Weise die Ausbreitung des Virus verlangsamen.
"Ich hatte am Anfang das Glück, dass mein Immunsystem gut funktionierte. Erst fünf bis sechs Jahre nachdem die Infektion festgestellt wurde, begann ich mit der ersten Therapie", erinnert sich Manny. Damals habe er drei Mal täglich jeweils drei Tabletten einnehmen müssen: "Ich musste die Zeit der Einnahme ganz genau einhalten. Eine Stunde zuvor durfte ich nicht essen", sagt Manny. Heute nimmt er nur morgens zwei Tabletten.
"Wie bei anderen Wirkstoffen gibt es auch bei den Präparaten gegen das HI-Virus inzwischen Resistenzentwicklungen", sagt Ulrich Heide von der Aids-Stiftung. Das bedeutet, dass Virusstämme immun gegen bestimmte Präparate werden - mit der Folge, dass die Medikamente bei einigen Patienten nicht mehr wirken. "Das ist ein Wettlauf zwischen der Weiterentwicklung der Therapie und der Resistenzbildung", erläutert der Experte im DW-Interview. Während die HIV-Infizierten in Deutschland Möglichkeiten haben, erfolgreich behandelt zu werden und mit der Krankheit zu leben, ist die Diagnose in vielen anderen Ländern auf der Welt noch immer ein sicheres Todesurteil.
Mitten im Leben
Die Mehrheit der HIV-Infizierten in Deutschland ist voll leistungsfähig, etwa zwei Drittel gehen einer Arbeit oder Ausbildung nach. Aber: "Nur eine Minderheit kann an ihrem Arbeitsplatz offen mit der Krankheit umgehen", sagt Heide. Für Manny war die Belastung irgendwann zu hoch: Er entschied sich, seinem Arbeitgeber von der Krankheit zu erzählen. Inzwischen wissen alle Kollegen Bescheid - auch einige der Senioren, die er betreut: "Ein Bewohner sagte, wie sehr er meinen Mut und mein Engagement bewundere - und wie froh er sei, dass ich sein Pfleger bin. Das macht mich glücklich."
Das Wissen über HIV/Aids in der Öffentlichkeit sei da, meint Ulrich Heide, doch noch immer gebe es Stigmatisierung und Ausgrenzung im Einzelfall. In puncto Aufklärung stehe Deutschland aber im Vergleich zu vielen anderen - auch westeuropäischen - Ländern sehr gut da. Die Infektionsrate sei geringer als in den Niederlanden oder in der Schweiz. Der Grund: die diversen Aufklärungsprogramme, die Deutschland seit 25 Jahren durchführt.
Vor 15 Jahren haben über 30 Prozent der Befragten gesagt, "Aids ist auch für mich eine sehr gefährliche Krankheit". Das sagen inzwischen nur wenige. Aber das kann auch dazu führen, "dass das Schutzverhalten geringer wird und wir möglicherweise in Zukunft größere Probleme haben", befürchtet Ulrich Heide.
Welt-Aids-Tag: Anlass zum Nachdenken
Manny ist in diesen Tagen ein viel beschäftigter Mann - als Botschafter der Kampagne zum diesjährigen Welt-Aids-Tag muss er viele Veranstaltungen besuchen und Gespräche führen. "Jemandem, der vor kurzem von seiner Infektion erfahren hat, würde ich klar machen, dass das nicht das Ende ist, sondern dass er damit leben kann, und dass er sich nicht abkapseln soll."
Und für die Öffentlichkeit hat Manny auch eine Botschaft: "Man muss vor uns keine Angst haben. Es gibt bestimmte Übertragungswege, über die man sich infizieren kann - durch Händeschütteln passiert das nicht. Wir sind nicht gefährlich, wir sind auch nur Menschen."