"Lieber Herr Erdogan, so nicht!"
3. April 2016EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hat den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan für dessen diplomatische Intervention wegen eines satirischen Beitrages im deutschen Fernsehen scharf kritisiert. "Es ist nicht hinnehmbar, dass der Präsident eines anderen Landes verlangt, dass wir in Deutschland demokratische Rechte einschränken, weil er sich karikiert fühlt", sagte Schulz der Zeitung "Bild am Sonntag". "Wir müssen Erdogan klar machen: In unserem Land gibt es Demokratie. Ende."
Politiker müssen mit Satire leben - auch Erdogan
Schulz forderte eine klare Haltung gegenüber dem türkischen Staatschef. Er kenne Erdogan "lange und gut". "Er ist ein Mann klarer Worte. Er versteht aber auch klare Worte. Und hier muss man sagen: Lieber Herr Erdogan, Sie sind einen Schritt zu weit gegangen. So nicht", forderte der SPD-Politiker. Schließlich sei Satire "ein Grundelement der demokratischen Kultur", mit dem Politiker zu leben hätten - "auch der türkische Staatspräsident".
Deutscher Botschafter mehrmals einbestellt
Wegen eines Satire-Beitrags des NDR-Magazins "extra 3" über Erdogan hatte die türkische Regierung den deutschen Botschafter in Ankara, Martin Erdmann, einbestellt und eine Löschung des Beitrags gefordert.
Die Satiriker hatten mit einem umgedichteten Nena-Song den Umgang des Präsidenten mit Pressefreiheit und Menschenrechten aufgespießt. In der Folge geriet auch die Bundesregierung in die Kritik, weil sie sich zu zögerlich gegen das diplomatische Vorgehen der Türkei gestellt und erst verspätet öffentlich für Pressefreiheit Stellung bezogen habe.
Auch Erdmanns Anwesenheit beim Auftakt des Spionage-Prozesses gegen zwei führende Journalisten der türkischen Zeitung "Cumhuriyet" hatte eine Einbestellung des Botschafters zur Folge. Überdies hatte die türkische Justiz kürzlich die regierungskritische Zeitung "Zaman" unter Zwangsverwaltung gestellt.
Umgang mit Kurden-Konflikt thematisieren
"Wir dürfen zu Grundrechtsverletzungen in der Türkei nicht schweigen, nur weil wir in der Flüchtlingsfrage zusammenarbeiten", mahnte Schulz. Vielmehr müsse die EU "diese Verstöße anprangern und permanent über Meinungsfreiheit und Menschenrechtsfragen mit der Türkei diskutieren". "Ein Land, in dem der Staatspräsident Diplomaten öffentlich attackiert, weil sie einen Prozess beobachten, gehört ebenfalls öffentlich angeprangert", sagte Schulz. Auch die Eskalation des Kurden-Konflikts müsse thematisiert werden. "Hier kann es keine militärische Lösung geben, die Türkei muss zum Friedensprozess zurückkehren", verlangte der Europapolitiker.
Flüchtlingspakt macht EU nicht abhängig
Zugleich verteidigte Schulz den EU-Flüchtlingspakt mit der Türkei, dessen Umsetzung am Montag starten soll. Die Europäische Union werde dadurch "nicht abhängig von der Türkei", sagte der EU-Parlamentspräsident. "In der Flüchtlingspolitik kooperieren wir mit etlichen Ländern, die nicht das Eldorado der Demokratie sind. Und wir schließen den Pakt nicht mit Herrn Erdogan, sondern mit der türkischen Republik", sagte Schulz.
cw/qu (afp, epd)